Terror und politisches Chaos in Kolumbien

Serie von Autoanschlägen fordert 25 Tote und 180 Verletzte / Gerüchte über einen eventuellen Staatsstreich / Regierung unfähig, Sicherheit der Kandidaten zu garantieren / Kandidat der liberalen Partei verurteilt Kooperation mit Paramilitärs / Erneut Drogenkrieg  ■  Aus Bogota Ciro Krauthausen

Nach monatelanger Ruhe explodieren in den kolumbianischen Großstädten erneut Bomben. Bei den drei Autobombenanschlägen, die auf das Konto der Rauschgiftmafia gehen sollen, sind nach einer Bilanz der Polizei am Samstag 25 Menschen getötet und 180 verletzt worden. In Cali, etwa 300 Kilometer südwestlich von Bogota explodierte am Abend ein Sprengsatz in unmittelbarer Nähe eines Fußballstadions. In der Hauptstadt erfolgten zwei Detonationen fast gleichzeitig in überlaufenen Einkaufzentren. „Es war wie ein Weltuntergang“, sagte ein Mitarbeiter eines Supermarktes, der bei dem Attentat selber verletzt wurde.

Weltuntergangsstimmung gehört in Kolumbien zum politischen Metier. Nur, so ausgeprägt wie vor den Präsidentschaftswahlen am kommenden 27. Mai war sie bislang selten. Neuester Grund zur Besorgnis: Inmitten einer heftigen Welle der Gewalt kursieren vermehrt Gerüchte über einen eventuellen Staatsstreich nicht näher identifizierter rechtsradikaler Gruppierungen. Allerdings bestritt bei einem Treffen mit der ausländischen Presse Polizeigeneral Miguel Gomez Padilla die angeblichen Putschabsichten der Streitkräfte und wies auf deren „Professionalität“ hin.

Das in allen Gerüchten auftauchende Schlüsselwort lautet „Destabilisierung“. Noch im August 1989 deutete alles auf einen mehr oder weniger ruhigen Wahlkampf hin. Dann jedoch wurde der liberale Kandidat Luis Carlos Galan - vermutlich von den Kokainbaronen - ermordet. Im März ließen Unbekannte den Chef der linken Union Patriotica Bernardo Jaramillo erschießen, und einen Monat darauf wurde der dritte Präsidentschaftskandidat, der ehemalige Guerillakommandant Carlos Pizarro Leongomez ermordet. Die drei Politiker sind dabei nur die prominentesten Opfer der Gewalt.

Antonio Navarro Wolf, selber ehemaliger Guerillero und nun als Nachfolger Carlos Pizarros Präsidentschaftskandidat der M-19, kommentierte im Gespräch mit einer Wochenzeitschrift: „Es handelt sich um ein Kreuzfeuer, in dem keiner weiß, warum er schießt oder erschossen wird.“ Skeptiker befürchten jedoch, daß eine Gruppe rechtsradikaler Verschwörer sehr wohl weiß, warum sie schießt: um das Land solange zu terrorisieren, bis der Ruf nach der starken Hand sie an die Macht katapultiert.

Als Präsident Barco nach der Ermordung Pizarros nach Sicherheitsgarantien für die Kandidaten befragt wurde, wußte er wie üblich nur mit einer Gegenfrage zu antworten: „Wie kann der Staat auf jeden Kolumbianer aufpassen, der unvorsichtig ist? Im Falle der Kandidaten müssen wir erreichen, daß sie mehr das Fernsehen und das Radio benutzen, ohne sich zu exponieren.“ Tatsächlich blicken nun die fernsehbegeisterten Kolumbianer jeden Abend auf die Mattscheibe, um die Kandidaten bei der Ausbreitung ihrer Vorschläge zu beobachten. Keiner der vier aussichtsreichsten Bewerber will jedoch auf öffentliche Auftritte verzichten. Dabei weigern sich bereits Besatzungen und Passagiere normaler Fluglinien, angesichts der Gefahr eines Attentats, zusammen mit hohen Politikern im gleichen Flugzeug zu fliegen. Die Regierung beschloß, jedem der Kandidaten umgerechnet rund 90.000 DM auszuzahlen - zwecks Miete von Privatflugzeugen.

Sowohl die beiden Kandidaten der zerstrittenen konservativen Partei, Rodrigo Lloreda und Alvaro Gomez, als auch der liberale Cesar Gaviria sind sich darin einig, daß der kolumbianische Staat, um die Krise bewältigen zu können, sein Machtmonopol festigen und das Justizwesen verstärken muß. Bislang hat allerdings nur der Nachwuchspolitiker Cesar Gaviria, der nach den letzten Umfragen mit 61 Prozent in Führung liegt, klargestellt, daß dabei Militärs nicht, wie bislang in einigen Regionen, mit den Paramilitärs zusammenarbeiten dürfen. In einer am Montag ausgestrahlten Fernsehrede wies Gaviria weiter daraufhin, daß statistisch auf jeden von der Guerilla ermordeten, fünf Opfer der Drogenmafia und der Todesschwadronen kommen. Gegen die Drogenmafia müsse eine besondere Gesetzgebung entworfen werden. Darüberhinaus seien strukturelle Reformen, unter anderem eine Verfassungsreform, unumgänglich. Auch die ungerechte Landverteilung sei dabei eine der Ursachen der Gewalt.

Zusammen mit der Wahl ihres Präsidenten sollen die Kolumbianer am 27. Mai über den Aufruf zu einer verfassunggebenden Versammlung befinden. Sollte sich eine Mehrheit hierfür aussprechen, könnte der gewählte Präsident die Versammlung auch ohne Zustimmung des weitgehend reformunwilligen Kongresses einberufen. Trotz der Volksbefragung dürfte es allerdings noch Monate dauern bis entschieden wird, wer zur verfassunggebenden Versammlung eingeladen und über was diskutiert werden soll.

Als sei es mit der politischen Krise nicht genug, scheint sich auch der Drogenkrieg zuzuspitzen. In der vergangenen Woche starben bei der Durchsuchung einer mutmaßlichen Finanzzentrale des Medellin-Kartells sieben Menschen. Seit Wochen schon denunzieren die Kokain-Barone Menschenrechtsverletzungen der Streitkräfte.