Ein Platz an der EG-Sonne für Ost und Nord

Entgegen bisherigen Planungen scheint eine Erweiterung der Gemeinschaft zu einem frühen Termin möglich zu werden  ■  Aus Brüssel Michael Bullard

Steht noch eine EG-Erweiterung ins Haus? Seit klar ist, daß die DDR schon bald in die EG integriert wird, wächst sich das Gerangel um einen Platz an der EG-Sonne auch bei den Ländern der EFTA-Freihandelszone Schweden, Norwegen, Finnland, Eisland, Österreich und der Schweiz mit Lichtenstein zu einer handfesten Identitätskrise aus. Vor allem im Königreich Schweden dominierte bislang stolze Zurückhaltung bei der Frage, ob man sich dem Moloch EG unterordnen soll. Seine Durchlaucht, König Carl Gustav von Schweden, hat jedoch nun das Eis gebrochen: Am Donnerstag warnte er seine Untertanen, daß sie sich auf einen Beitritt zur EG schon 1995 einstellen sollten.

Stärker noch als in Schweden, wo nach letzten Umfragen inzwischen eine Mehrheit der Befragten für einen EG-Beitritt ist, greift in Norwegen und Finnland Torschlußpanik um sich. Vor allem seit deutlich wird, daß ein Beitritt Österreichs von den EG-Behörden inzwischen nicht mehr rigoros abgelehnt und vom Kreml für möglich gehalten wird.

Nicht nur eine Mitgliedschaft des neutralen Österreichs in der EG sei für die sowjetische Regierung denkbar, erklärte Gorbatschow-Berater und Direktor des Europa-Instituts der sowjetischen Akademie der Wissenschaften, Witalij Schurkin letzte Woche in der österreichische Hauptstadt. Er könnte sich auch einen Beitritt bisheriger RGW-Mitgliedsstaaten vorstellen.

Parallel zum Schwenk in der EG-Politik des Kremls scheint auch die EG-Kommission ihre Haltung zu überdenken: Bislang hat der Präsident der Kommission, Jaques Delors betont, daß eine Ausdehnung der EG frühestens im nächsten Jahrtausend denkbar wäre. Als Ausgleich bot er den EFTA-Staaten an, zusammen mit der EG einen Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) zu schaffen.

Nach einem längeren Streit übergab die Kommission am Donnerstag ihren Entwurf eines Verhandlungsmandats dem EG -Rat, der spätestens im Juni darüber entscheiden soll. Erst danach können die Verhandlungen beginnen.

Delors scheint inzwischen davon auszugehen, daß die EG bei den Verhandlungen zu viele Zugeständnisse machen muß. Deswegen gewinnt die Beitrittsoption an Bedeutung: Neben der österreichischen hat vergangene Woche auch die tschechoslowakische Regierung erneut betont, daß sie möglichst bald der EG beitreten möchte.

Zwar würde der Beitritt der EFTA-Länder und einiger mittelosteuropäischer Staaten die wirtschaftliche und politische Integration der 12 verlangsamen. Andererseits, so das gewandelte Kalkül im Brüsseler Hauptquartier der angehenden Supermacht, müßte die EG weniger Zugeständnisse machen, da die Beitrittsbedingungen von der EG formuliert werden.