: Politische Pflanze
■ Die Retorten-Petunie kommt auf den Acker
Die endlose Geschichte der genmanipulierten Petunien aus der Retorte der Kölner Max-Planck-Forscher soll heute ihren vorläufigen Abschluß finden. 30.000 Pflanzen, denen ein Mais -Gen implantiert worden ist, werden auf ein Fußballfeld -großes Blumenbeet in Köln ausgepflanzt. Es ist die erste Freisetzung von gentechnisch verändertem Erbmaterial in der Bundesrepublik. Ein historischer Tag, der allerdings gegenüber den Verdauungsgeräuschen der Wahlkämpfer in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen in den Hintergrund tritt. Daß er nicht ganz vergessen wird, dafür sorgen die Demonstranten, die heute so frei sind, den Schritt der Gentechniker ins Freiland zu blockieren.
Die Petunien in Köln sollen blühen, während die ökologischen Konsequenzen der Freisetzung von genetisch neu kombinierten Organismen noch nicht einmal annähernd untersucht und einschätzbar sind. Wie verhalten sich die Neuschöpfungen aus dem Labor in der Natur? Unter welchen Umständen kann ihre Erbsubstanz von anderen Organismen aufgenommen und weiterverbreitet werden? Wie weit kann zum Beispiel der Pollen von transgenen Pflanzen (denen ein künstliches Gen transferiert wurde) fliegen und andere Artgenossen bestäuben? Trotz der anhaltenden öffentlichen Diskussion um die Gentechnik gibt es für solche Fragestellungen außerhalb der Spezialistenkreise kaum ein kritisches Bewußtsein. Gleichzeitig sind weltweit bereits 165 Freisetzungen transgener Pflanzen erfolgt.
Die Kölner Petunien sollen blühen, nachdem der Bundesrat letzten Freitag - gerade zwei Tage vor der Niedersachsen -Wahl, bei der die Unionsmehrheit in der Länderkammer kippen konnte - das Gentec-Gesetz passieren ließ. Doch die Kölner Petunien wurden lange vor dem Gengesetz genehmigt, „freihändig“, ohne Rechtsgrundlage, dafür mit viel Bauchschmerzen selbst beim Bundesgesundheitsamt.
Die Bedeutung der Kölner Petunien war immer klar. Gefährlich an diesem Experment ist vor allem seine Pilot -Funktion. Das Max-Planck-Institut soll das Blümchen für die Gentechnik machen. Balkonpflanzensanft wird hier der Einstieg in die Freisetzung genmanipulierter Organismen vorgenommen. In einem prachtvollen Blütenmeer von 30.000 lachsroten Petunien verliert die Bundesrepublik ihre gentechnische Unschuld im Freiland.
Manfred Kriener, West-Berlin
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