Studie: AKW Greifswald akute Gefahr

■ Reaktorexperten aus beiden deutschen Staaten legen niederschmetternde Studie zur Sicherheit der Atomzentrale vor:Sofort abschalten Maroder Zustand und Schlampigkeiten der Bedienungsmannschaften waren der SED-Regierung spätestens seit 1986 bekannt

Berlin (taz) - Alle vier Blöcke der Atomzentrale Greifswald an der Ostsee müssen umgehend abgeschaltet werden. Auch eine spätere Rekonstruktion, die horrende Summen verschlingen würde, könnte die Druckwasserreaktoren sowjetischer Bauart nicht an internationale Sicherheitsstandards heranführen. Zu diesem Ergebnis kommt eine vom zentralen Runden Tisch berufene unabhängige Expertenkommission in ihrem gestern in Berlin vorgestellten Schlußgutachten.

Die Experten aus beiden deutschen Staaten - unter ihnen der Werkstoffexperte des Atomkraftwerks Greifswald - betonten, vor jeder „weiteren Diskussion und Prüfung“ etwa von Rekonstruktionsmaßnahmen müsse abgeschaltet werden, weil von dem Atomkraftwerk eine „nicht akzeptierbare Gefährdung“ ausgehe. Das niederschmetternde Ergebnis der Untersuchung bezieht sich vor allem auf den Zustand der strahlengeschädigten Reaktordruckbehälter, die völlig veraltete Meß-, Regel- und Steuertechnik sowie die mangelnden Sicherheitssysteme.

Das Gutachten belegt mit zahlreichen Zitaten aus Ministerratsbeschlüssen und Berichten der zuständigen staatlichen Kontrollbehörden, daß der marode Zustand der Anlage der Staats- und Parteiführung spätestens seit 1986 bekannt gewesen ist. Außerdem hatten die Verantwortlichen Kenntnis vom schlampigen Umgang der Bedienungsmannschaften mit der An lage.

Die Experten klagten, daß ihnen auch nach der Wende nicht eine einzige Seite der von ihnen verwendeten Unterlagen freiwillig überlassen worden sei. Stattdessen habe man sich verschlungener Pfade bedienen müssen. Eine von dem Bonner Reaktorminister Klaus Töpfer und Ex-Schwerindustrieminister Kurt Singhuber beauftragte Expertenkommission will im Sommer einen zweiten Zwischenbericht über das AKW vorlegen. Bis dahin sollen die Blöcke I und IV weiter in Betrieb bleiben.

gero Bericht: Seite 8