TERRA INCOGNITA, TEIL 7: Plötzlich taucht das schneeweiße Schloß des Ministers auf

■ Mit der taz-Radtour geht es heute nach Strausberg und von dort durch "Waldeinsamkeit" weiter nach Tiefensee - vorbei am NVA-Headquarter und Fontanes ...

Start: S-Bahnhof Strausberg-Vorstadt. Ziel: Bahnhof Tiefensee, Streckenlänge: 26 km bzw. 47 bis S-Bahnhof Bernau, wg. zeitweiser Waldeinsamkeit empfiehlt sich Mitnahme eines Picknickkorbs.

Nach Strausberg-Vorstadt fährt die S-Bahn im 20-Minuten-Takt auf zweigleisiger Strecke. Am Bahnhofsvorplatzkiosk kann man noch schnell eine Landkarte erwerben - falls sie nicht vergriffen ist. Dann folgt man den Menschenströmen zur Strausberger Straßenbahn, die sich stolz Eisenbahn nennt, aber wirklich nicht so aussieht. Rechts von den Schienen verläuft die sandige Lindenpromenade, die zwischen den Tram -Haltestellen „Landhaus“ und „Schlagmühle“ Kurze Promenade heißt, obwohl sie lang ist.

Die Haltestellenhäuschen der Straßenbahn sehen aus wie in der Mitte durchgeschnittene Provinzbahnhöfe. Nach dem zweiten dieser Häuschen muß man auf die linke Seite der Tramgleise wechseln, weil rechts eine Fabrik liegt. Wenn dann die Thälmannstraße auftaucht, bleiben wir links auf dem Radweg, vor uns ragt unübersehbar der Wasserturm auf dem 94 Meter hohen Marienberg auf. Wir überqueren eine Einmündung von der Umgehungsstraße (Vorsicht!) und biegen nach der Tankstelle runter zum Straussee ab. Bis zur Fähre kann man beide Uferseiten ohne Belästigung durch Autos befahren, sofern man bereit ist, seine Geschwindigkeit auf die Wanderwege einzustellen. Die Personenfähre, die auch Räder mitnimmt, stammt aus derselben Zeit wie die Straßenbahn (1924) und hat einen einzigartigen Elektroantrieb.

Nördlich der Fähre kann man auf der Strausberger Seite erst mal gar nicht am Ufer lang fahren und auf der westlichen Seite nur im Schritttempo. Die Zäune von Erholungsheimen und Fischereivereinen verengen den Weg zu einem schmalen Pfad. Die Umgehungsstraße auf der westlichen Seite ist zwar glatt asphaltiert, aber auch stark befahren. Schöner ist es im Ort, wo die Große Straße und die Badstraße für den Autoverkehr gesperrt sind. Die Fußgängerzonen sind relativ gepflegt, viele Häuser sind frisch verputzt. Ob das damit in Zusammenhang steht, daß Strausberg 1985 mit dem „Kampforden für Verdienste um Volk und Vaterland in Gold“ ausgezeichnet wurde?

In der Senke zwischen der Gartenstadt und Strausberg-Nord, dem NVA-Headquarter, ist ein neuer See entstanden, weil hier Torf abgebaut und exportiert wurde. Hinter dem Gehöft „Roter Hof“ führt nach links ein ruhiger Sandweg in den Wald, dem wir Richtung Wilkendorf folgen. Jetzt wird es langsam einsamer. Unerwartet stößt der Weg auf ein schneeweißes Schloß hinter einem hohen, verzierten Gitter. Völlig DDR -untypisch ist der Rasen grasgrün und gepflegt kurz geschnitten. Das Ding ist ein Objekt: das Gästehaus des ehemaligen Verteidigungsministers Hofmann, hieß es in Wilkendorf. Ein altes Feldsteinhaus daneben wurde abgerissen, um einem Cafe-Neubau Platz zu machen. Hinter der romantisch zugewachsenen Kirche sollte ein Platz für 800 Autos entstehen. Der Parkplatz für den Golfplatz, den man im und um den Schloßpark plant. Dann wäre es um die Ruhe in diesem Ort geschehen.

Hinter der Kirche hört heute noch jeder Verkehr auf, die beiden weiterführenden Chausseen haben wüstes Pflaster und führen nur in den Wald. Auf der Rückseite der Kirche kann man noch das Rittergrab derer von Pfuel bewundern. Ihr Besitz war nicht das Schloß, sondern ein Gutshaus, an dessen Stelle heute ein unförmiges 50er-Jahre-Siedlungshaus steht. Falls der Weg offen ist, fährt man rechts am Schloß vorbei in den Wald, sonst ein Stück weiter westlich am Ostufer des Ihlandsees. Es ist einer von diesen so langen und krummen Seen, wie sie für unsere von der Eiszeit geprägten Landschaft typisch sind. Meist liegen diese Seen in einer Rinne, wie Perlen auf der Kette, so auch hier.

Kurz vor dem Lattsee kreuzen sich die beiden Wege, jetzt heißt es auf jeden Fall den rechten nehmen. So gelangt man möglichst nah an der „Stadtstelle“, dem alten Vorwerk von Prötzel, an die Straße, die den Wald in West-Ost-Richtung durchquert. Der Wald öffnet sich nun zu einer Lichtung, die von einer riesigen alten Feldsteinscheune beherrscht wird. Wer den auf der „Berlin Nord„-Karte eingetragenen Findling sehen möchte, muß von der etwas verfallenen Scheune des Vorwerks vorbei an frischen weißen Datschen zu einem Feld mittem im Wald. Am höchsten Punkt des rechteckigen Feldes liegt unter einer Birke der Findling, den schon Fontane beschrieb.

Zur Weiterfahrt ist die Straße zu empfehlen. Erstens ist hier nicht viel Verkehr, und zweitens werden die Waldwege weiter nördlich schlechter, es sitzt nämlich wieder Militär im Wald, und die wühlen ja bekanntlich gerne. Hier haben sie es besonders arg getrieben.

Nach schöner asphaltierter Abfahrt stoßen wir auf den Gamengrund, der das Blumenthaler Landschaftsschutzgebiet auf der Westseite begrenzt. Hier verläuft ein beliebter Wanderweg für Fußgänger. Doch wir bleiben auf dem hohen Damm und benutzen unseren Schwung, um auf der anderen Seite wenigstens einen Teil des Berges wieder hochzukommen. Auf der Höhe angelangt, halten wir uns rechts und rollen flach auf Asphalt nach Tiefensee. Hier gibt es eine Jugendherberge, eine Gaststätte und einen Bahnhof. Nachmittags fährt fast jede Stunde ein Zug nach Ahrensfelde zur S-Bahn, mit der man wieder zum Alex gelangt (Fahrtzeit insgesamt 70 Min.).

Axel von Blomberg