piwik no script img

Blues und Boden

 ■ V O R L A U F

(Der Mann mit der Schlangenhaut, 22.55 Uhr, Pro 7) Im Jahre 1960 spielt Orpheus den Blues. Zu seinem Repertoire gehören Songs von Leadbelly und Blind Lemon Jefferson. Er trägt eine Jacke aus Schlangenleder. Für die bodenständigen Spießer, Rassisten und Reaktionäre im Süden der USA stellt er als Außenseiter eine latente Bedrohung dar, denn er symbolisiert Ungebundenheit und sexuelle Aktivität, er ist auf attraktive Weise männlich und einfühlsam zugleich. Die gutsituierten Bürger schicken ihre Sheriffs aus, um ihn wegen „Landstreicherei“ in den Knast werfen zu lassen. Orpheus (Marlon Brando), der hier Val Xavier heißt, wird dreißig und hat diese Erniedrigungen allmählich satt. Er zieht die Schlangenlederjacke aus und wird der Gehilfe des Ladenbesitzers Jabe. Während Jabe krebserkrankt und verbittert in der Wohnung über seinem Laden hockt, findet seine jüngere Frau Lady (Anna Magnani) in dem virilen Val einen Menschen gleicher Gesinnung. Sie leidet unter den Verhältnissen und dem ungeliebten Ehemann, den sie heiraten mußte, als ihr Vater in seinem Laden verbrannte. Der Brandanschlag war eine Racheaktion des rassistischen Ku Klux Klan, weil der Alte auch Schwarze bedient hatte. Erst später erfuhr Lady, daß ihr Mann mit zu den Mördern gehört hatte. Jetzt rächt sie sich auf ihre Art und träumt gleichzeitig vom Glück an der Seite Vals - vergebens. Jade erschießt sie, seine lynchgeilen Gesinnungsgenossen treiben Val in die Flammen des verbrennenden Ladens.

In der von Tennessee Williams beschriebenen Welt werden Außenweiter noch immer verbrannt. Der Mann mit der Schlangenhaut (The Fugitive Kind) entstand unter der Regie von Sidney Lumet nach dem ersten, noch nicht von Erfolg gekrönten Stück des Dramatikers, das zunächst für die Bühne, später für den Film beträchtlich verändert wurde. Der Film prangerte in einer für die Entstehungszeit ungewöhnlich offenen Weise den gewalttägigen Rassismus in den amerikanischen Südstaaten an, blieb aber hinter seinen Möglichkeiten zurück. Während Marlon Brando in der Hauptrolle erneut Gelegenheit hatte, sich zum Außenseiter zu stilisieren, agierte das restliche Personal auf mitunter strapaziöse Weise überschwenglich und pathetisch, wie überhaupt der Film unter der allzu plakativ vorgetragenen Bedeutungsschwangerschaft der Bilder leidet.

H.K.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen