Darwinistisches Versuchslabor

■ Luc Bessons geniales Debut „Der letzte Kampf“, 20.15 Uhr, Tele 5

Der Weltraum. Unendliche Weiten. Unendliche Rätsel. Sternennebel, Quasare, Schwarze Löcher. All diese bis in die Theologie hineinreichenden Probleme der modernen Wissenschaft werden belanglos, sobald sich die simple Frage stellt, warum uns ein Regisseur wie der Franzose Luc Besson nach einem kinematographisch faszinierenden, rundweg gelungenen Debut wie Le dernier combat mit solch modischen Nichtigkeiten wie Subway oder Le grand bleu langweilt. Wir werden es nie wissen.

Wir wissen jedoch genau, daß das Post-Doomsday-Genre im Zuge der wachsenden atomaren Bedrohung seit den Fünzigern einige Dutzend mehr oder weniger interessante Endzeitfilme hervorgebracht hat. Die meisten der überhaupt erwähnenswerten Beispiele (Planet der Affen, Omega Mann, Jahr 2022, Mad Max) funktionieren vornehmlich auf der Actionschiene. Nur wenige Streifen entwerfen phantasivolle, skurrile Zukunftsvisionen wie etwa Boormans Zardoz oder Lucas‘ THX 1138, die auf ihre Art glaubwürdig erscheinen. Noch weniger Filme wie Lupuschanskijs Briefe eines Toten setzen sich differenziert mit der Form auseinander, die das Überleben nach der Katastrophe annehmen könnte. Le dernier combat von 1982 bildet hier in mehrerer Hinsicht eine Ausnahme. Ohne die durchweg bedrückende Düsternis von Maleville nachzuahmen, zeichnet Besson Gewohnheiten und Tagesablauf einer Gruppe Überlebender detailgenau und ohne prätentiöse Ausrutscher nach, als präsentierte er einen (post-)ethnologischen Dokumentarfilm. Zugleich erzielt er mit seinen in der Spannung zwischen üppigem Scopeformat und kargem Schwarzweiß aufgenommenen Bildern eine Atmosphäre von sarkastischer Poesie.

Der namenlose Held der Geschichte (Pire Jolivet, zugleich Drehbuch-Mitautor) lebt in einem mit Sand knöcheltief zugewehten sechziger Jahre Großraumbüro, ringsherum Wüste. Die ersten Bilder zeigen sein schier entsetztes Gesicht, als das Geräusch entweichender Luft seiner kargen Befriedigung mit einer Aufblaspuppe ein jähes Ende beschert.

Mit einer aus Zivilisationsresten zusammengestoppelten „Ausrüstung“, die ihm das Aussehen eines kirgisischen Schafhirten verleiht, unternimmt er Raubzüge gegen eine in zerbeulten Autowarcks hausende Sippe, die vom „Kommissar„ -Gehilfen Fritz Wepper mit atavistischer Strenge angeführt wird. Namen gibt es keine mehr. Den paar Überlebenden hat es die Sprache verschlagen, buchstäblich. Kurze Begegnungen erschöpfen sich im bizarren Schlagabtausch. Mit einer erbeuteten Autobatterie kann unser Held seinen hausgemachten Flugapparat in Gang bringen und in letzter Sekunde der aufgebrachten Meute entkommen.

In den Ruinen einer ehemals blühenden Stadt notgelandet, kann er abermals im letzten Moment den wuchtigen Schlägen eines auf primitive Reflexe reduzierten Riesen (unbeschreiblich genial: Jean Reno) entkommen, nachdem er nur durch einen überraschenden Fischregen vor dem Verhungern bewahrt wurde. Schwer angeschlagen schleppt er sich in ein verfallenes Hospital, in dem sich ein in grotesker „Höhlenmalerei“ übender Arzt (gewitzt: Jean Buisse) gegen die nach „Panzerknacker„-Manier vorgenommenen Einbruchsversuche des grobmotorischen Giganten verschanzt hat.

In dieser humorvoll auf markige Archetypen reduzierten Konstellation entfaltet Besson einen hermetisch stilisierten Kosmos, ein Darwinistisches Versuchslabor der Zivilisation, in dem das Spektrum menschlichen Verhaltens, von ergreifenden, slapstickmäßig ausgereizten Stummfilm-Dialogen bis zu comichaft überzogenen Kampfszenen, „getestet“ wird. Der letzte Kampf indes wird um die letzte Frau ausgefochten, die der Arzt im Keller wie einen geheimnisvollen Schatz hortet.

Manfred Riepe