Mit Woytilas Segen gegen die Abtreibung

In Polen nehmen die Attacken auf das Abtreibungsgesetz kein Ende / Jetzt versucht der Senat, durch die Hintertür eine Verschärfung einzuführen / Protestdemonstrationen von Frauenorganisationen gegen einen kurzen und konfusen Gesetzentwurf / Auch Solidarnosc tritt gegen Abtreibung auf / Für Sexualaufklärung und soziale Hilfe fehlt es an Geld  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Durch die Hintertür versuchen zur Zeit einige polnische Senatoren doch noch zu erreichen, was vor einem Jahr durch die Auflösung des Parlaments und die anschließenden Neuwahlen verhindert wurde: eine drastische Verschärfung der Gesetzgebung über Abtreibung. Aufgedeckt haben dies Frauenorganisationen und die Tageszeitung 'Trybuna‘, das Sprachrohr der aus der PVAP hervorgegangenen Sozialdemokratie. 'Trybuna‘ druckte vor kurzem den Gesetzentwurf, der im Gesundheitsausschuß des Senats hinter verschlossenen Türen beraten wurde. Seither reißen die Proteste von Frauenorganisationen nicht mehr ab. In Warschau gingen sie vergangene Woche erneut auf die Straße.

Resolutionen und Reaktionen

Die Demonstrationen richteten sich auch gegen eine Resolution, die der Solidarnosc-Kongreß vor zwei Wochen in Danzig gefaßt hatte. „Die Gewerkschaft befürwortet den Schutz des menschlichen Lebens vom Moment der Empfängnis an“, heißt es darin knapp. Die „Polnische Feministische Vereinigung“ protestierte: „Wir wehren uns dagegen, daß sich eine Gewerkschaft in Frauenfragen und noch dazu gegen die Frauen äußert.“ Davon abgesehen hat die Resolution in Polen bisher kein Echo ausgelöst, nicht nur wegen ihrer Kürze, sondern auch, weil sie niemanden überrascht hat. Ähnliche Resolutionen sind auch bei anderen Vereinigungen und bei vielen politischen Parteien an der Tagesordnung, neu ist nur, daß sich nun jemand dagegen wehrt.

Der Gesetzentwurf des Senats ist wahrscheinlich der kürzeste und, so findet wenigstens die Wochenzeitung 'Recht und Leben‘, auch einer der sinnlosesten der polnischen Rechtsgeschichte. Tatsächlich besteht er aus fünf kurzen Paragraphen. Schon der erste ist geeignet, nicht nur Frauenrechtlerinnen, sondern auch Juristen die Haare zu Berge stehen zu lassen: „Jedes menschliche Wesen hat ein angeborenes Recht auf Leben, niemand darf willkürlich seines Lebens beraubt werden“, heißt es darin nämlich. Der Ausdruck „menschliches Wesen“ ist der polnischen Rechtsliteratur jedoch fremd. Noch konfuser wird es aber mit dem „angeborenen Recht“, das per Definition ja erst nach der Geburt wirksam werden kann. Doch nicht das ist es, was die Frauen auf die Straße treibt.

Katholizismus statt Stalinismus?

Laut Gesetzentwurf soll nämlich jeder Schwangerschaftsabbruch verboten werden, es sei denn, „höhere Gewalt“ bedroht das Leben der Mutter. Abgetrieben werden darf dann aber nur im Krankenhaus und nachdem zwei Ärzte ihr „Urteil“ abgegeben haben. Eine soziale Indikation ist nicht vorgesehen, ebensowenig eine Abtreibung nach Vergewaltigung. Statt dessen werden öffentliche kommunale Einrichtungen verpflichtet, der Mutter bis zu drei Monate nach der Geburt des Kindes finanziell beizustehen; der Staat soll Organisationen unterstützen, die Müttern helfen.

So steht es in dem Entwurf, der nach Meinung der katholischen Tageszeitung 'Slowo Powszechne‘ Schluß machen soll mit dem „stalinistischen Abtreibungsgesetz von 1956“. Abgesehen davon, daß dieses Gesetz erst nach der stalinistischen Epoche in Polen in Kraft getreten ist, ist es formal bereits ziemlich streng. Schwangerschaftsabbrüche sind illegal und nur erlaubt nach der Empfehlung eines Arztes, bei „schwierigen Lebensbedingungen“ der Schwangeren oder wenn ein „begründeter Verdacht“ besteht, daß die Schwangerschaft durch eine „kriminelle Handlung“ zustande kam. Allerdings fehlen bis heute die Ausführungsbestimmungen - die „schwierigen Lebensbedingungen“ sind zum Beispiel nicht definiert. Letztlich liegt die Entscheidung also beim Arzt. Offiziellen Statistiken zufolge werden in Polen jährlich eine halbe Million Abtreibungen vorgenommen. Die katholische Kirche schätzt die Zahl glatt auf das Doppelte.

Bewehrt mit diesen Daten hatten bereits im letzten Jahr Abgeordnete verschiedener katholischer Gruppen versucht, im Wahlkampf aus der Abtreibungsfrage Kapital zu schlagen. Sie legten einen Gesetzentwurf vor, der jede Abtreibung ohne Ausnahme und auch die Anleitung dazu mit drei bis fünf Jahren Gefängnis ahndete. Der Entwurf wurde im Sejm nie behandelt, doch in der Öffentlichkeit sorgte er für große Aufregung. Frauen demonstrierten zu Hunderten vor dem Gesundheitsministerium, eine Flut von Leserbriefen und Diskussionen in der Presse folgten.

Ein Blankogesetz

Gemessen an dem Gesetzentwurf von 1989 ist der jetzige Vorschlag geradezu liberal. Obwohl das Fünf-Paragraphen-Werk Abtreibungen verbietet, nennt es keine Strafen für Verstöße. „Ein Blankogesetz“, findet daher die Wochenzeitung 'Recht und Leben‘. Zweifel an der juristischen Kompetenz der Autoren erweckt auch die Vorschrift, die Kommunen sollten bedürftigen Müttern drei Monate lang beistehen. Ein entsprechendes Sozialhilfesystem besteht in Polen nämlich noch gar nicht, und auch die Mittel für solche Zuwendungen sucht man im gerade erst verabschiedeten Haushalt vergeblich.

Die einzige Institution, die da hätte einspringen können, wurde vor kurzem erst aufgelöst - die „Gesellschaft für Familienentwicklung“, vergleichbar der bundesdeutschen „Pro Familia“. Ebbe in der Staatskasse wurde als offizieller Grund genannt. Doch bei der Diskussion im Sejm tauchten plötzlich ganz andere Gründe auf. Die Gesellschaft hatte nämlich Sexualberatung und -aufklärung betrieben, die den fanatischen Teil von Polens Katholiken auf die Barrikaden brachte. Der Sejm strich das Geld, die Gesellschaft starb einen stillen Tod. Einzig Senator Andrzej Szczypiorski wandte sich seinerzeit gegen „diesen Versuch, das Budget unseres Staates doktrinär zu ideologisieren, der immerhin Bürgern unterschiedlicher Weltanschauungen verpflichtet ist“. Daß die Gesellschaft Verhütungsmethoden und sexuelle Aufklärung unters Volk gebracht habe, dürften ihr gerade Katholiken eigentlich kaum verübeln, fand die Wochenzeitung 'Polityka‘, schließlich sei gerade der Wissensmangel in diesem Bereich für die hohe Zahl an Abtreibungen verantwortlich.

Almosen für die Mütter - Taufe für die Kinder

Eine Institution, die das Gebot des neuen Gesetzentwurfes, in Not geratenen Müttern beizustehen, erfüllen könnte, gibt es also nicht, obwohl gerade die Zahl der alleinstehenden Mütter ständig zunimmt. Polens Alimenteregelungen sind eher Almosenregelungen: Die Höhe der Alimente müßte dringend der Inflation angepaßt werden, aber damit hat sich der Senat bisher nicht beschäftigt. Auch die Hilfe der katholischen Kirche beschränkt sich überwiegend darauf, die Neugeborenen zu taufen - allerdings gegen Gebühr.

Alle Versuche, das bestehende Recht zu verschärfen, haben einstweilen nur zu einem geführt: Zum Entstehen einer Frauenbewegung auch in Polen. Zwar sind deren Mitglieder nicht sonderlich zahlreich und auch kaum eine Zeitung berichtet darüber. Doch wenn noch einige Senatsvorschläge zur Kriminalisierung der Abtreibung gemacht werden, könnte sich das ändern, meinen manche.