Vom V-Mann zum Millionär

Millionenzahlungen des Berliner Verfassungsschutzes an den früheren V-Mann Weingraber bestätigt / Aber angeblich keine Anzeichen für ein „Schweigegeld“  ■  Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) - Dem früheren V-Mann des Westberliner Verfassungsschutzes geht es gut: Alles in allem ließ die Lauschbehörde rund eine Million Mark für ihren Topmann Volker Weingraber - Deckname „Wien“ - springen. Belegt werden die Zahlungen an Weingraber, einer der zentralen Figuren im Geschehen um die Ermordung des Studenten Ulrich Schmücker im Jahre 1974, nun durch einen Bericht der Projektgruppe für Verfassungsschutz. Die 13seitige Studie zur „Handhabung des Sicherheitsfalles eines ehemaligen Mitarbeiters“ wird heute im Untersuchungsausschuß Schmücker und am Donnerstag im Ausschuß für Verfassungsschutz erörtert.

Es war wohl weniger der V-Mann Weingraber, der dem Bericht den Titel „Sicherheitsfall“ geben müßte. Ein Sicherheitsfall war allemal das Berliner Landesamt, das den Mann, der die Vorbereitungen für die Ermordung des Studenten Schmücker bis ins Detail beobachtet haben will, jahrelang den Gerichten entzog, ihm üppige Abfindungen gewährte und ihm eine falsche Identität verschaffte. V-Mann Wien steht im Verdacht, am Schmückermord beteiligt gewesen zu sein.

Der warme Geldregen setzte bereits 1972 ein. Die Zahlungen des Landesamtes lassen sich bis Ende 1976 allerdings nicht nachvollziehen. „Unübersichtliche Aktenführung“ heißt es in dem Projektbericht. Für 1977 bis 1979 wurde immerhin ein Zahlbogen eingeführt. Der V-Mann, der die vermutliche Tatwaffe nach dem Mord in Empfang nahm, kassierte bis zu seiner „Abschaltung“ im Jahr 1979 über 80.000 D-Mark. Noch im selben Jahr folgten als erste Rate seiner Abfindung 60.000 D-Mark. Zwei Jahre später wurde nachgebessert und die zweite Rate von 40.000 ausgezahlt - mit Wissen und Zustimmung des damaligen Innensenators Ulrich. Weingraber zog sich in die Toskana zurück. Er legte sein Salär in einer Eigentumswohnung an und kaufte sich in ein Weingut ein.

Bis 1986 lebte der frühere Topmann unter einem Tarnnamen, ausgestattet mit echten, vom Berliner Verfassungsschutz beschafften Personalpapieren. Sein heutiger Namen wurde der Projektgruppe „aus Sicherheitsgründen“ vorenthalten.

Als 1986 der 'Spiegel‘ einen Artikel zum Schmücker-Komplex veröffentlichte und dabei „Wien“ als V-Mann entlarvte, geriet dies offensichtlich nicht zum Schaden des Betroffenen: Vom 3.10. 86 bis zum 11.11. 87 wurden dem „Sicherheitsfall Weingraber“ weitere 763.300 D-Mark gezahlt

-rund das 28fache der Summe, die Weingraber zuletzt 1979 in Ausübung seiner Spitzeldienste erhalten hatte. Die Gründe für die Zahlungen wurden dabei von Wien und seinen Amtsbetreuern gemeinsam erarbeitet: Etwa 5.000 D-Mark für „Bewegungsfreiheit im Falle einer akuten Gefährdung“, 30.000 D-Mark für „Abschlagszahlungen für notwendige Unterhaltskosten für das Weingut“ oder lapidar als „Abfindung“ in der Höhe von 450.000 D-Mark.

Anzeichen dafür, daß dem V-Mann Wien seitens des Amtes „ein Schweigegeld“ gezahlt wurde, um die Verstrickungen des Verfassungsschutzes in den Schmückermord zu vertuschen, will die Projektgruppe anhand der ihr vorgelegten Akten nicht entdeckt haben. Als „bemerkenswert“ führt sie immerhin auf, daß die VerteidgerInnen im Schmücker-Prozeß trotz aller Geheimnistuerei den Aufenthaltsort Weingrabers jahrelang kannten.

„Völlig unverständlich“ nennt der Bericht aber, „daß eine derartig hohe Summe an einen ehemaligen V-Mann gezahlt wurde, ohne eine schriftliche Verpflichtung zur Aussage vor einem Untersuchungsausschuß bzw. innerhalb eines ordentlichen Gerichtsverfahrens zu fordern“. Das „grobe Versäumnis“ treffe insbesondere den damals für Sicherheit und Ordnung zuständigen Staatssekretär Müllenbrock. Als früherer Ankläger im Schmücker-Verfahren hätte er die entscheidende Rolle von Wien „zwingend erkennen müssen“. Ob Weingraber heute, mehr als 16 Jahre nach dem Schmückermord, noch einmal vor Gerichts treten muß, scheint allen Prozeßbeteiligten ziemlich unwahrscheinlich. Nach seiner Enttarnung wurde dem ehemaligen VS-Mitarbeiter von Amts wegen die Flucht empfohlen. Aber Weingraber fühlte sich offenbar wenig gefährdet. Er lehnte mit Hinweis auf die bevorstehende Weinernte und die beginnende Jagdsaison ab.