Statt eines Siegs nur eine Galgenfrist

■ Für die Grünen gibt es keinen Grund zur Selbstgefälligkeit

Ein Grund zur Erleichterung ist das Wahlergebnis für die Grünen allemal; ein Sieg aber ist es keinesfalls, auch wenn das die Parteiführung der Öffentlichkeit und wohl sich selber glauben machen möchte. Nur die Tiefe der grünen Seelenverzweiflung der letzten Monate läßt das magere Ergebnis als Wiedergeburt alter Kraft erscheinen. Für Selbstgefälligkeit jedenfalls ist kein Anlaß.

In Niedersachsen verhandelt eine Partei um eine Regierungsbeteiligung, die als Opposition aus dem abgehalfterten Albrecht-Regime keinen Gewinn ziehen konnte. Hinter dem Verlust von 1,6 Prozentpunkten versteckt sich in Wirklichkeit gar die Abwendung eines knappen Viertels der Wähler. Wie in Niedersachsen hat es auch in Nordrhein -Westfalen mit dem Einzug nur aufgrund der geringeren Wahlbeteiligung geklappt, die die Marge absenkte. Viereinhalbtausend Wählerstimmen über der Fünf-Prozent-Hürde wie in Nordrhein-Westfalen - knapper geht's nicht mehr. Als deutschlandpolitsche Opposition vom Wähler bestätigt zu sein, kann daraus nicht abgelesen werden. Höchstens ist der Partei ein Kredit zugebilligt worden, den die Grünen in der jetzigen Verfassung nicht einlösen können.

Die knappen Ergebnisse sind deshalb nicht mehr als eine ebenso unerwartete wie dringend nötige Galgenfrist, um die inneren und äußeren Probleme anzupacken. Noch immer stehen die Grünen vor der in zehn Jahren gewachsenen Aufgabe, eine Parteireform anzugehen, die den Bundesvorstand endlich arbeitsfähig macht und zugleich dafür sorgt, daß die Mitglieder vor Ort nicht mehr so erbarmungslos allein gelassen werden, wie es bislang aus Mangel an „Apparat“ der Fall ist. Für die Zukunft noch dringlicher ist die Frage zu beantworten, wie die Grünen in einem vereinigten Deutschland programmatisch überleben können. Hoffnungsträger jedenfalls sind die Grünen weder für die jüngere Bevölkerung noch für ein demokratisch, ökologisch und sozial verträglich zu gestaltendes Gesamt-Deutschland. Derzeit verhilft ihnen offenbar nur die Sorge der Bevölkerung vor den bedrohlichen Kosten des Vereinigungsprozesses zu Stimmen; das wird nicht reichen, wenn Konzepte gefragt sind.

Sich bei gesamtdeutschen Wahlen neben einer modernisierten Lafontaine-SPD und dem linkssozialistischen Konkurrenten PDS zu behaupten - dafür fehlt den Grünen vieles. Noch vor den Bundestagswahlen müssen sie deshalb ihr Profil schärfen. Auf dem kommenden Parteitag wird deshalb für ein Vertagungsbedürfnis einer streitunwilligen Basis kein Platz sein - allerdings auch nicht für die in Hagen praktizierte Brechstangen-Pädagogik der Realos. Werden dort keine Antworten formuliert, können sich die Grünen trotz des jetzigen Wahlerfolgs schnell im freien Fall wiederfinden.

Gerd Nowakowski