BesetzerInnen wollen sich nicht spalten lassen

■ Instandbesetzer besetzten in der vergangenen Woche und am Montag die Stadtbezirksräte Friedrichshain, Mitte und Prenzlauer Berg / Sie fordern Verträge für alle besetzten Häuser und protestieren gegen die „Hinhaltetaktik“ der Behörden

Ost-Berlin. „Miethaie zu Fischstäbchen“, so steht es seit vorgestern an der Wand des Stadtbezirksrates Mitte. Ein Überbleibsel der dritten „Instanzbesetzung“, nach den Besetzungen am letzten Donnerstag und Freitag im Rat Prenzlauer Berg und Friedrichshain. Die BesetzerInnen der drei Stadtbezirke beabsichtigen damit, „Druck zu machen“. Sie fordern: keine Kriminalisierung, keine Räumung, Verträge für alle besetzten Häuser - „Wir lassen uns nicht spalten“.

Umstritten sind in erster Linie die „Sicherungsverträge“. Vor sechs Wochen bildete der Runde Tisch Berlin die Arbeitsgruppe „Projekte“, die sich des Problems annahm. Sie will für die rund 30 bei ihr registrierten besetzten Häuser in den drei Stadtbezirken Nutzungsverträge erwirken. Die „Sicherungsverträge“ sollen eine erste Regelung sein, eine „Erklärung des guten Willens“ zwischen den Kommunalen Wohnungsverwaltungen (KWV) der Stadtbezirke, den Räten und den BesetzerInnen.

Das Ziel solcher Verträge, so der Jurist Ulf Heitmann, der den Entwurf geliefert hat, bestehe darin, später für jedes Haus differenzierte Nutzungsvereinbarungen abzuschließen. Enthalten sind unter anderem Wohnrecht und Zusicherung von Gas-, Licht- und Wasserzufuhr für die Nutzer (BesetzerInnen), die ihrerseits die Energiekosten tragen, Aufräumungsarbeiten und Schuttbeseitigung übernehmen.

Bei den bisherigen Treffen der beteiligten Seiten fehlte immer irgendein Stadtbezirk, beim ersten Mal am 25. April die KWV- und Ratsvertreter von Prenzlauer Berg; am 2. Mai, wo der Vertragsentwurf diskutiert wurde, kam nur der Friedrichshainer KWV-Vertreter; am 9.Mai erklärten die Vertreter von Mitte und Prenzlauer Berg, sie müßten nun erst mal den Entwurf von einem Juristen begutachten lassen, und von den vorangegangen Terminen hätten sie nichts gewußt. Das anschließende Termingerangel brachte die BesetzerInnen viele berichten von wochenlangen vergeblichen Bemühungen um Kontakte mit den Amtsstuben - vollends auf die Palme.

Zur Kernfrage „Sofort Sicherungsverträge für alle?“ verhalten sich die drei Stadtbezirke unterschiedlich. Von der Friedrichshainer KWV wurde Bereitschaft zum Vertragsabschluß (aber „kein Massenvertragsabschluß“) signalisiert - mit Ausnahme einsturzgefährdeter oder schon zur komplexen Modernisierung vorgesehener Häuser -, und der Friedrichshainer amtierende Abteilungsleiter Wohnungspolitik Both hat „nichts grundsätzlich gegen Sicherungsverträge“, will sie jedoch für jedes Haus spezifisch ausgearbeitet sehen. Der Vertreter der KWV von Prenzlauer Berg, Rebuschatis, brachte hingegen sein Mißfallen deutlich zum Ausdruck: „Das bedeutet die Duldung eines illegalen Zustandes.“

Die BesetzerInnen selbst haben nicht bloß in den Häusern aufgeräumt, zum Teil Fenster eingesetzt oder sie mit Gittern gegen Steinwürfe gesichert, Info-Cafes eingerichtet (unter anderem Schönhauser Allee 20, Kreutzigerstraße) und ein Straßenfest für den Kiez organisiert (am letzten Wochenende in der Adalbertstraße). Sie haben auch große Pläne: ökologisches Wohnen (Sonnendach in der Lottumstraße, Gemüsegarten in der Prenzlauer Allee 203/204), Videokino (Kreutzigerstraße), Fahrradreparaturwerkstatt (Adalbertstraße). Etwa 80 Prozent, so schätzt die Mitarbeiterin der Magistratsabteilung Wohnungspolitik, Buchholz, haben „ernsthafte Absichten zur Instandsetzung“.

Und die meisten, war von Jutta Braband von der AG „Projekte“ zu erfahren, haben für später Selbstverwaltungskonzepte im Blick. Das hieße jedoch keinesfalls, daß die KWVs überflüssig würden - falls derartige Ängste im Spiel sein sollten -, denn nur ein halbes Prozent des Berliner KWV-Wohnungsbestandes wäre davon betroffen.

Natürlich sind Bauzustand und Besitzverhältnisse von Haus zu Haus verschieden. Nach Meinung des Juristen Ulf Heitmann kein Grund, keine Sicherungsverträge abzuschließen, denn diese berühren die Besitzverhältnisse überhaupt nicht. Sie ermöglichen lediglich die Nutzung der Häuser, die oft monate - und jahrelang leergestanden haben. „Die KWVs selbst“, so Heitmann, „haben einen illegalen Zustand geduldet, denn sie waren für die Instandhaltung verantwortlich.“

Einige besetzte Häuser, zum Beispiel die Schönhauser Allee 20/21, die Schliemannstraße 39, sind in die 25-Millionen-DM -Spritze des Senats einbezogen. Eine Projektkommission zusammengesetzt aus dem Sprecherrat der Berliner Bürgerinitiativen (im Oktober '89 gegründet), KWV -Mitarbeitern und Senat - entschied über die Verteilung des Geldes an nunmehr rund 20 Objekte, so Kommissionsmitglied Ulf Heitmann. Mit einem Grobcheck konnten sich Bürgerinitiativen, auch besetzte Häuser, um einen Anteil bewerben.

Gegen die „Zerstreuungstaktik“ von KWVs und Räten - für manche Häuser soll es Verträge geben, für andere nicht setzt Heitmann eine ganze Reihe von Vorteilen für die Kommune, wenn sie solche Selbsthilfeprojekte nutzt: kultureller Effekt für andere Jugendliche und den Kiez; Sozialisierungseffekt durch das gemeinsame Arbeiten an einem Haus; Kosteneinsparung bei der Sanierung (nach internationalen Erfahrungen bis zu 25 Prozent); Arbeitsbeschaffungsprogramm für die BesetzerInnen und Umschulungsmöglichkeit für Bauleute aus Neubaugebieten. Den politischen Aspekt hebt Jutta Braband von der AG „Projekte“ hervor: „Es handelt sich in jedem Fall um Gemeinschaftsprojekte, die man der beabsichtigten Reprivatisierung im Wohnungssektor entgegensetzen muß. Außerdem muß es für junge Leute möglich sein, alternative Lebensformen auszuprobieren.“

Gestern begannen im Stadtbezirksrat Mitte Einzelgespräche zwischen KWV und BesetzerInnen. Wie eine Besetzerin aus der Adalbertstraße danach der taz erzählte, lasse sich die KWV „auf nichts ein“, die Verhandlungen seien unsachlich gewesen, die BesetzerInnen „sauer und enttäuscht“. Wie es in allen drei Stadtbezirken weitergeht, ist wohl heute abend zu erfahren: Magistrat und die AG „Projekte“ haben nämlich die ganze Runde wieder ins Rote Rathaus gerufen. Diesmal müßten zumindest alle wissen, daß sie eingeladen sind.

Susanne Steffen