Wo steht die AL?

■ Was aus dem Beschluß der AL geworden ist, die Koalitionsvereinbarungen mit der SPD bis Ostern nachzubessern / Eine Betrachtung zur Koalition

West-Berlin. „Es muß jetzt mal geklärt werden: Wo steht die AL in dieser Koalition, wo steht sie im Senat und wo steht sie außerhalb des Rathauses.“ Zu dieser Standortbestimmung forderte die ehemalige AL-Fraktionsvorsitzende Heidi Bischoff-Pflanz ihre Partei in einem taz-Interview auf, nachdem sie vor fast zwei Monaten sowohl den Fraktionsvorsitz als auch ihr Mandat im Abgeordnetenhaus niedergelegt hatte. Der Austritt einer der Gallionsfiguren von Rot-Grün löste innerhalb der AL und in der Koalition eine heftige Krise aus, und in einer Sondersitzung des AL -Delegiertenrats wurde beschlossen, die Koalitionsvereinbarungen mit der SPD durch Neuverhandlungen nachzubessern. Bis Ostern wollte man in verschiedenen Arbeitsgruppen zentrale Politikfelder neu formulieren und diese dann der SPD vorlegen. Die schwerfälligen Strukturen der Alternativen haben das Vorhaben erheblich in die Länge gezogen.

Zunächst mußte die aktuelle Krise bewältigt und eine Nachfolgerin für Bischoff-Pflanz gefunden werden. Die Bilanz der Partei konnte nach einem guten Jahr Regierungsbeteiligung kaum schlechter ausfallen: Innerhalb eines Monats hatten drei AL-Abgeordnete Ämter zurückgegeben und dabei für erheblichen Wirbel gesorgt. Die Koalition zermürbte sich in endlosen Streitereien über beinahe jedes Thema, in der Deutschlandpolitik mußte die AL selbstkritisch zugeben, die Entwicklung seit der Maueröffnung verschlafen zu haben.

Mit dem Wunsch nach Nachbesserungen war zweierlei angesprochen: zum einen das Eingeständnis, in der Deutschlandpolitik gewaltige Defizite zu haben; zum anderen Kritik am großen Koalitionspartner - insbesondere am Führungsstil des Regierenden Bürgermeisters, der seine Fraktion mit eiserner Hand regiert und in Senatssitzungen strittige Fragen notfalls per Abstimmung lösen läßt. Rot und Grün versöhnten sich wieder, die SPD gab jedoch zu verstehen, daß eine Neuauflage der Koalitionsvereinbarungen überhaupt nicht in Frage komme.

Dessen ungeachtet blieb die AL bei ihrem Vorhaben und setzte zur Klärung der Koalitionsfrage eine Mitgliedervollversammlung an, in der über den Stand der Koalition beraten und über die Fortführung abstimmt werden sollte. Bis heute wurde diese VV mehrfach verschoben, mittlerweile ist sie für Mitte Juni anberaumt. Zwar findet am Freitag eine VV statt, da soll aber lediglich - wegen der voraussichtlichen Beteiligung der Berliner an den nächsten Bundestagswahlen - über den Beitritt zu den Bundes-Grünen beraten werden.

Mittlerweile liegen von den einzelnen Arbeitsgruppen Entwürfe zu AL-Politikfeldern vor, die derzeit im Delegiertenrat diskutiert werden. Die Unzufriedenheit über das Procedere ist in den eigenen Reihen groß: Einzelne Funktionäre befürchten, daß man bis Weihnachten noch nicht mit der SPD verhandelt hat - die Koalitionsfrage könnte sich bis dahin erledigt haben. Die Papiere zu Bereichen wie Wirtschaftspolitik, Soziales, Verkehr, Umwelt und Deutschlandpolitik beinhalten wenigstens in Ansätzen konkrete Vorschläge wie zum Beispiel in Fragen der Berlinförderung oder einer zukünftigen Verfassung. Ein typischer struktureller Mangel kennzeichnet aber die einzelnen Vorschläge wie das gesamte Vorgehen: Alle sind geprägt vom Lobbyismus bzw. vom Ressort-Egoismus der einzelnen Bereiche, der für sich selber immer mehr Geld und Unterstützung fordert und freimütig verlangt, dafür in anderen Bereichen zu sparen. Der ohnehin nicht sehr verhandlungswilligen SPD werden damit kaum Zugeständnisse zu entlocken sein. Die Forderungen der eigenen Basis, die mittlerweile fast Lichtjahre vom Parteivorstand und der Fraktion entfernt ist, werden teilweise schon von den eigenen Funktionären mitleidig belächelt.

Bis zur VV im Juni sollen die Verhandlungen mit der SPD gelaufen sein - den Ausdruck „Nachverhandlungen“ möchte man dabei tunlichst vermeiden. Nächste Woche will man mit den Nachbesserungen an die Öffentlichkeit gehen, um so im Vorfeld Druck auf den Koalitionspartner auszuüben. Ob der sich unter Druck setzen läßt, darf bezweifelt werden. Der Fraktionszwang innerhalb der SPD hat es bisher verhindert, daß jemals Kritik am Führungsstil innerhalb der Koalition nach außen getragen wurde. Die AL wird sich wieder die Köpfe heiß diskutieren über den Stand der Koalition - vor drei Monaten. Der aktuellen Entwicklung wird sie aufgrund ihrer unveränderten Strukturen weiter hinterherhinken, denn während sie noch immer keine einheitliche Linie über das Ob der Vereinigung gefunden hat, ist die aktuelle Diskussion längst beim Wie der Hauptstadt angelangt. Im Unterschied zur letzten Koalitions-Krisen-VV ist der Ausgang diesmal aber nicht mehr sicher: Teile der Partei proben bereits im Verborgenen den Ausstieg, und Gerüchten zufolge soll auf der VV auch ein Antrag zur Tolerierung der SPD in einem Minderheitssenat eingereicht werden. Die Frage, wo die Koalition steht, könnte - bei entsprechender Stimmung an der Basis - dann sehr schnell beantwortet sein.

Kordula Doerfler