Etappe der aufgeklappten Messer

■ Spaniens Idol Pedro Delgado scheiterte auf der vorletzten Etappe der Spanienrundfahrt der Radprofis daran, den Italiener Marco Giovannetti von der Spitze zu verdrängen

Berlin (taz) - „Wir werden alle mit dem aufgeklappten Messer losfahren“, hatte Pedro „Perico“ Delgado aus Spanien, Tour -de-France-Sieger von 1988 und Gewinner der „Vuelta ciclistica a Espana“ im vergangenen Jahr, gesagt, bevor es auf die entscheidende vorletzte Etappe der diesjährigen Spanienrundfahrt ging. Fünf Berge in der Umgebung von Madrid waren zu bewältigen, und dort wollte Delgado dem führenden Marco Giovannetti aus Mailand jene knapp eineinhalb Minuten abnehmen, die er benötigte, um sich in seiner Heimatstadt Segovia, dem Zielort dieser 21. Etappe, das Gelbe Trikot überstreifen zu können.

Immer wieder trat Delgado an und versuchte, den Italiener abzuschütteln, doch der klebte unbeugsam an seinem Hinterrad. Opfer der ständigen Attacken Pericos wurde lediglich der Baske Pello Ruiz-Cabestany, der bis dahin mit 24 Sekunden Rückstand an zweiter Stelle gelegen hatte. Cabestany mußte seiner Parforcejagd beim Zeitfahren von Zaragoza, das er tags zuvor gewonnen hatte, Tribut zollen, verlor fast zwei Minuten und fiel auf den vierten Rang zurück.

Auf dem dritten Hügel, dem Alto de Abantos mit einer 200 Meter langen achtzehnprozentigen Steigung, schien es soweit zu sein. Giovannetti wurde von seiner ersten leichten Krise dieser Rundfahrt gepackt und fiel 20 Sekunden hinter Delgado zurück. Doch er erholte sich rasch und konnte den Spanier bei der folgenden Abfahrt wieder einholen. Die Entscheidung fiel schließlich beim letzten Aufstieg zum Puerto de Navacerrada. Vier Kilometer vor Schluß hatten die permanenten Angriffe Delgados Erfolg. Zwanzig Meter konnte er Giovannetti davonziehen, eine klassische Situation, wie sie schon oft eine große Rundfahrt entschieden hat. Häufig bricht der Widerstand des abgehängten Fahrers in solchen Momenten völlig zusammen, er scheint förmlich stehenzubleiben und verliert auf wenigen Kilometern alles, was er sich in harten, langen Tagen zuvor erkämpft hat.

Nicht so Giovannetti. Mit zusammengebissenen Zähnen kämpfte er sich voran und einen Kilometer vor dem Ziel hatte er das Hinterrad Delgados wieder erreicht. Zeitgleich mit Delgado überfuhr er vier Sekunden hinter dem Etappensieger Roux den Zielstrich in einer Gruppe, die von Uwe Ampler (DDR) angeführt wurde, der sich mit dieser hervorragenden Leistung auf den 9. Rang der Gesamtwertung katapultierte.

„Ich weiß nicht, wo ich all diese Kräfte gefunden habe. Es war ein schrecklicher Tag, aber ich habe es geschafft“, sagte der 1,90 große Giovannetti nach seiner Energieleistung, die ihn wohl endgültig zum nicht nur körperlich größten Fahrer des Pelotons gemacht hat. Wenn ihm gestern (nach Redaktionsschluß) auf dem letzten Abschnitt, einer sanften Abfahrt nach Madrid, nicht noch ein spanischer Kampfstier zwischen die Speichen geraten oder ihm ein anderes Mißgeschick widerfahren ist, konnte ihn niemand mehr daran hindern, sich am Bernabeu-Stadion als Sieger der Spanienrundfahrt 1990 feiern zu lassen. Er wäre erst der vierte Italiener nach Conterno (1956), Gimondi (1968) und Battaglin (1981), dem dieses Kunststück in den 55 Jahren der Vuelta gelungen ist.

„Ich bin kein Saronni oder Moser“, blieb Giovannetti, der eigentlich nach Spanien gekommen war, um seinem Kapitän, dem Spanier Alvaro Pino, zum Sieg zu verhelfen, auch im Triumph bescheiden. Seine wahren Idole entstammen ohnehin einer anderen Sportart: „Natürlich ist der andere Marco besser als ich“, sagt der eingeschworene Fan des AC Mailand, „van Basten ist die Nummer eins.“

Matti

Gesamtwertung: 1. Marco Giovannetti 89:52,16 Std., 2. Pedro Delgado 1:28 Min. zurück, 3. Anselmo Fuerte 1:48, 4. Pello Ruiz-Cabestany 2:16, 5. Fabio Parra 3:07, 6. Federico Etxabe 3:52, 7. Miguel Indurain 6:22, 8. Iwan Iwanow 6:48, 9. Uwe Ampler 7:15, 10. Denis Roux 7:56.