: Selbstmord in Cannes
■ Auffallend viele Suiziddarstellungen bei Filmfestspielen
Viele Selbstmordversuche suchen dieses Jahr Cannes heim. Den gemeinsten unternimmt Krystyna Janda im Verhör, einem polnischen Tresorfilm von 1980, der jetzt Premiere hatte. Sie schnürt sich den Unterarm ab und beißt herzhaft in die Pulsader.
In Wassili Pitschuls Schwarz sind die Nächte überm Schwarzen Meer versucht Stepanitsch, sich an einem Türgriff zu erhängen. Der Versuch scheitert an der mangelhaften Qualität sowjetischer Möbelproduktion - der Griff bricht ab. Für seinen zweiten Versuch präpariert er ein paar Butangasflaschen. Bevor er aber zur Tat schreitet, stößt sich ein tapsiger Milizionär an der Bombe und segnet statt Stepanitsch das Zeitliche. Im japanischen Beitrag Shi No Toge gibt es folgenden Dialog: Ehefrau: „Ich werde mich töten, denn du hast mich betrogen.“ - Ehemann: „Liebling, bitte tu's nicht.“ Einmal muß er ihr auf ihr Geheiß mehrere Kopfschüsse versetzen. Beide überleben. Monica Vitti spielt in ihrem Film Scandalo Segreto eine Partie Dame gegen sich selbst. Statt schwarzer Steine benutzt sie rote Barbituratkapseln. Jede übersprungene Kapsel wird geschluckt.
Wie jedes Jahr gibt es auch heuer wieder eine italienische Heiligenlegende. Letztes Mal diente uns ausgerechnet Liliana Cavani ausgerechnet Mickey Rourke als Heiligen Franz von Assisi an, diesmal verfilmten die Gebrüder Taviani einen frommen Stoff von Leo Tolstoi. Der Baron Sergio Giuramonte verzichtet auf eine brillante Karriere am Hof und auf Nastassja Kinski als Gattin, um als Eremit in die Berge zu ziehen.
Aber auch der heilige Mann erliegt der 1990er Cannoiser Suizidaltendenz: Er geht in einen Bergsee. Eine Minute lang liegt Stille über der Landschaft, dann taucht Sergio juchzend wieder auf. Mitreißender war da die Szene, in er sich, um der fleischlichen Versuchung in Form einer frivolen Comtesse zu wehren, ein Fingerglied abhackte. Das machte die Gräfin gläubig.
Thierry Chervel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen