Die DDR-Nöte sind kein Thema in Brüssel

Rahmenbedingungen klären Details noch lange nicht / Sorgen von DDR-Industrie und Landwirtschaft bleiben unberücksichtigt  ■  Aus Brüssel Michael Bullard

Unsicherheit über die gemeinsame Zukunft herrscht nicht nur in der DDR. Auch die EG ist noch weit davon entfernt, konkrete Antworten auf die unzähligen Probleme geben zu können, die sich durch die Annäherung der DDR an die Bundesrepublik und damit an die EG ergeben. Was sie von dem Rapprochement zu erwarten haben, diskutieren die Euro -Parlamentarier heute in Straßburg. Extra eingeflogen wird dazu der Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maiziere. Denn schließlich kann sich die DDR-Regierung nicht länger auf EG -Ebene von den Bonnern vertreten lassen.

Auch wenn mit der Unterzeichnung eines Handels- und Kooperationsvertrags zwischen DDR und EG letzte Woche die Rahmenbedingungen für intensivere Beziehungen abgesteckt wurden: Der Teufel steckt bekanntlich in den Details, und die müssen erst noch ausgehandelt werden. Außerdem bezieht sich der Handelsteil des Abkommens nur auf das Verhältnis der DDR zu den elf EG-Ländern.

Die Beziehung zwischen der DDR und der BRD ist aus EG-Sicht durch das Zusatzprotokoll zu den Römischen Gründungsverträgen der EG über den innerdeutschen Handel abgedeckt. Deshalb wird sich die EG zumindest für die Übergangszeit bis zur tatsächlichen Integration der DDR in die Bundesrepublik nur wenig um die durch Westimporte verschärften Nöte der DDR-Konsumgüterindustrie und -Landwirtschaft kümmern.

Aus Sicht der EG-Kommission ist dies nicht nötig, solange Bundeslandwirtschaftsminister Ignaz Kiechle seiner Verpflichtung nachkommt und die innerdeutsche Grenze für landwirtschaftliche Importe aus der DDR in die EG dicht hält. Weil Konsumgüter noch nicht von dem Rahmenabkommen erfaßt sind, sollen spätestens Anfang nächsten Monats noch Zusatzverträge geschlossen werden, die die Kontingente für den Handel beispielsweise mit Textilien oder Schuhen festlegen. Daneben verfolgen die EG-Partner mit dem Vertrag allerdings auch das Ziel, noch vor der Vereinigung der beiden deutschen Staaten auf dem DDR-Markt stärker vertreten sein zu können. Denn drei Viertel der Westimporte in die DDR kommen bislang aus der Bundesrepublik. Auch bei den „wilden“ Importen, mit denen zur Zeit die DDR überschwemmt wird und die der heimischen Industrie zusätzlich das Leben schwer machen, führen die Westdeutschen. Daß sich dies ändert, dafür mobilisert EG-Wettbewerbskommissar Leon Britton seit Wochen westeuropäische Industrievertreter. Sie sollten doch endlich in die Gänge kommen und den DDR-Markt erschließen, bevor es zu spät ist und die bundesdeutschen Industriellen sich dort vollends breit gemacht haben, warnt Thatchers Mann in Brüssel.

Neben den Handelsproblemen geht es aber auch darum, die Aufgabe der Souveränität vorzubereiten. Schließlich wird die DDR am TagX der Vereinigung das gesamte EG-Recht übernehmen müssen (über 1.200 Gesetze). Weil das nicht von heute auf morgen möglich sein wird, müssen schon im Vorfeld Übergangsfristen und -regelungen getroffen werden. Dazu finden Verhandlungen statt, in deren Zentrum die Bonner Regierung sitzt, die sich auf der einen Seite mit DDR -Vertretern bespricht und auf der anderen Seite mit der EG -Behörde und den Partnerregierungen. Die Rolle der DDR bei diesen Verhandlungen ist jedoch noch unklar. DDR -Wirtschaftsminister Pohl erklärte deswegen bei seinem Besuch in Brüssel letzte Woche anläßlich der Unterzeichnung des Handels- und Kooperationsvertrages, daß seine Regierung mit einem Staatssekretär und mehreren Beamten direkten Kontakt zur Brüsseler EG-Behörde aufnehmen möchte. Allerdings ließ er offen, wie er sich deren Arbeit vorstellt. Schließlich ist die DDR noch kein EG-Mitglied, eine Teilnahme an den Kommissions- und Ratssitzungen deshalb auch nicht möglich. Wie die DDR trotzdem an den Entscheidungen über ihre eigene Zukunft beteiligt werden kann, darüber will sich die Kommission diese Woche Gedanken machen.