Waigel regiert in Ost-Berlin

■ Am Geist des Staatsvertrags haben die Verhandlungen nichts verändert

Verhandlungserfolge kann die SPD vorweisen: In der Fassung letzter Hand sind ein paar Formulierungen aus dem sozialdemokratischen Gegenentwurf in den Staatsvertragsvorschlag übernommen worden. Aber die Zufriedenheit, die jetzt die SPD auszustrahlen versucht, ist auch durch die neueste Fassung kaum gerechtfertigt. In der Präambel verbeugen sich nun zwar die „Hohen Vertragschließenden Parteien“ vor dem revolutionären Volk der DDR: „dank der Tatsache, daß im Herbst 1989 eine friedliche und demokratische Revolution stattgefunden hat...“ Auch ein anderes Anliegen der SPD wurde aufgenommen: In der ursprünglichen Fassung sollte die Sozialunion die Wirtschaftsunion nur „ergänzen„; jetzt sollen beide Unionen „eine Einheit bilden“. Damit ist die Gleichrangigkeit beider Vertragsziele zumindest in der Formulierung gegeben. Aber dieser hohe Vertragsgrundsatz bleibt letztlich leer; er bestimmt weder die Systematik des Entwurfs, noch gibt es Ausführungen, was „Einheit“ heißt und wie sie hergestellt wird. Zwar hat sich jetzt die Bonner „Hohe Vertragsschließende Partei“ dazu bewegen lassen, DDR -Arbeitern mit Niedriglöhnen entgegenzukommen. Im Artikel 18 über die Grundsätze zur Sozialversicherung heißt es: „Lohnempfänger (...) erhalten bis zum 30. Dezember 1990 zu ihren Rentenversicherungsbeitrag einen Zuschuß bei einem Monatslohn bis 600 DM in Höhe von 30 DM, über 600 bis 700 DM in Höhe von 20 DM.“ Vertragliche Zusicherungen dieser Art dokumentieren jedoch nur, daß es erhebliche negative Folgen der Wirtschaftsunion geben wird. Aber welche Dimensionen diese Folgen tatsächlich haben werden und nach welchen Prinzipien sie auszugleichen sind, wie also die Sozialunion mit der Wirtschaftsunion zu einer „Einheit“ gebracht werden soll, wird nicht einmal erwähnt. Der Zuschuß von 30 oder 20 DM ist eben ein Trostpflaster, errechnet nach der Maßgabe der bundesdeutschen Haushalte. Dafür darf sich die SPD jetzt rühmen, daß im Artikel 24 nunmehr ausdrücklich die Sozialhilfe nach bundesdeutschem Vorbild eingeführt wird.

Entscheidender

Punkt bleibt

An einem entscheidenden Punkt ist die SPD glatt gescheitert: Sie hatte den Oktroi-Charakter des Vertrages ändern wollen, indem sie das Prinzip der parlamentarischen Kontrolle einzuführen versuchte. Ihrem Entwurf zufolge sollte ein parlamentarischer Ausschuß die weitere Ausgestaltung und die Umsetzung des Vertrages überprüfen dürfen, versehen mit dem Recht, auch die Minister beider Deutschlands vorzuladen. Dieser erneut festgehaltene antiparlamentarische Geist entspricht der Art und Weise, wie eben der Vertrag ausgearbeitet wurde.

Eines ist aber festzustellen, wenn man die Abfolge der Staatsvertragsentwürfe betrachtet: Die wirklichen Probleme der Vertragsgegenstände werden allmählich sichtbar. So haben sich die niederschmetternden Bilanzen der DDR-Betriebe, die jetzt zu ersten Mal aufgestellt wurden, niedergeschlagen. Im Artikel 14 werden nun Möglichkeiten der „Strukturanpassung“ der maroden DDR-Unternehmen vorgesehen. Die DDR-Regierung kann die „notwendige Strukturanpassung“ „fördern“, allerdings im Rahmen „der haushaltspolitischen Möglichkeiten“ und vor allem im „Einvernehmen mit der Regierung der BRD“. Weitere Einschränkungen des politischen Spielraumes ergeben sich aus anderen Artikeln. Artikel 26,3 schreibt die Pflicht zur „Defizitbegrenzung“ der öffentlichen Haushalte fest. Zudem, „Kreditermächtigungen in den Haushalten der Gebietskörperschaften“ setzen das „Einvernehmen“ mit dem Bundesfinanzminister fest. Die DDR und ihre künftigen Länder stehen also generell unter Kuratel des Bundesfinanzministers, der praktisch Strukturpolitik in der DDR betreiben darf.

Verweis auf die Umwelt

Einen Erfolg darf sich die große Koalition in Ost-Berlin zuschreiben: Zum Umweltschutz hieß es im alten Entwurf lakonisch, er sei „besonderes Anliegen“ der Vertragspartner. Jetzt ist nach Artikel 16 auch das Verursacherprinzip festgeschrieben. Es heißt, daß man sich vom „Vorsorge-, Verursacher und Kooperationsprinzip“ beim Umweltschutz „leiten lassen“ soll. Allerdings: Der Versuch, das Verursacherprinzip ganz auszuklammern, wäre in der Bundesrepublik kaum mehrheitsfähig gewesen. Geblieben ist die Formel: „Bestehende Anlagen und Einrichtungen, die weiter betrieben werden sollen, müssen entsprechende Anforderungen (nach bundesdeutschen Umweltschutzrecht) möglichst bald erfüllen.“ Wer die Erfüllung wann bezahlen soll, wer die Altlastensanierung - immerhin ein Haupthindernis für Investoren - finanzieren wird, verschweigt der Vertrag.

Hier wie bei vielen anderen Vertragsbestimmungen kommen Ansprüche auf die DDR-Regierung zu, die sie vermutlich nach Bonn weiterleiten muß. Dagegen hat Bonn in der letzten Fassung Dämme aufgebaut. Erst hieß es, daß die BRD einen Haushaltsausgleich „nach Maßgabe der im Haushalt der BRD zur Verfügung stehenden Mittel“ gewährt. Jetzt spricht der Artikel 28 (Finanzzuweisungen der BRD) von „zweckgebundenen Finanzzuweisungen in Höhe von ... Deutsche Mark“. Mit anderen Worten: Die Bundesrepublik verschärft noch einmal die Interventionsmöglichkeiten in die öffentlichen Haushalte der DDR. Über das Defizit-Spending muß Ost-Berlin jedesmal in Bonn verhandeln - und offenbar soll in nächster Zeit die Größenordnung begrenzt werden. Woher aber die Vertragspartner die Sicherheit nehmen, jetzt schon einen festen Ausgleichsposten für die Defizite der DDR-Haushalte, für die es überhaupt noch keine richtigen Schätzungen geben kann, zu fixieren, steht in den Sternen. Deutlich ist nur der Wille des westlichen Vertragspartner, die „Kosten der Einheit“ unter Kontrolle zu halten. Dafür wird die Gleichrangigkeit des Vertragspartners mißachtet und das am Anfang beschworene föderale Prinzip durchbrochen. Wenn es nach diesem Vertragstext teuer wird, hat der Bundesfinanzminister das letzte Wort. Demgegenüber müssen gewiß die vielen Teufel in vielen Details zurücktreten. Viele wird man erst nach Vertragsabschluß entdecken. Ein Detail als Beispiel: Im neuen Entwurf steht im Artikel 20,2 Rentenversicherung: „Die bestehenden Zusatz- und Sonderversorgungssysteme werden grundsätzlich zum 1.Juli 1990 geschlossen.“ Das betrifft die Ehrenrenten der Opfer des Naziregimes. Sie werden hier mit Stasi-Angehörigen gleichgestellt. Ab 1.Juli ist Schluß mit Privilegien, mit solchen und solchen.

Klaus Hartung