Emotionales Plädoyer

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(Menschen sind nicht zum Töten auf der Welt, Di., 15.5., ARD, 23 Uhr) Selten, ganz selten geschieht es, daß in mir Wut hochsteigt während einer Fernsehsendung. Eine unbändige Lust, einmal richtig hassen zu dürfen. Der Film gibt Anlaß genug, Wut auf Befürworter der Todesstrafe zu entwickeln. Gerhard Mauz hält ein Plädoyer gegen die Todesstrafe - aus einem Bremer Schwurgerichtssaal, in dem früher die Todesurteile verkündet wurden. Es ist diese besondere Emotionalität, die in Mauz‘ Worten, im Tonfall seiner Stimme liegt - eine vollkommen sachliche Gemütsbewegung, auch wenn dieses Begriffspaar wie ein Widerspruch klingt. Aber diese Art der Darstellung, aus der die Moral des liberalen Humanisten spricht, sorgt dafür, daß auch der Zuschauer ergriffen wird von der Erregung und nicht mehr davon loskommt.

Obwohl die Kamera den Moderationsort im Gericht verläßt und das sterile, klinische Hinrichtungswerkzeug vorführt, denen hilflose Menschen ausgeliefert sind, bleibt die seltsame Spannung immer erhalten. Die Stimme von Gerhard Mauz trägt den Hall des Gerichtssaales hinein in die Bilder - sie sind damit eingebunden als Indizien in eine ganz persönliche Beweisführung. Mauz und sein Mitautor Peter Friedrich Leopold haben eine Entscheidung getroffen - gegen die Todesstrafe, das führt gewöhnlich zu Polarisierungen: hier die Täter, die zu Opfern werden, weil auf sie Strick oder Stuhl, Gas oder Gewehrsalve warten; dort die Henker, deren Sinn für Gerechtigkeit nicht über ein tumbes Auge um Auge, Zahn um Zahn hinausgekommen ist. Gerhard Mauz trifft diese Einteilung nicht. Zwar zeigt er den Amerikaner, der die Hinrichtungsinstrumente technisch verbessert und makabrerweise Lynch heißt, oder die deutsche Familie, die nach Raubüberfall und Vergewaltigung für die Todesstrafe eintritt. Aber er führt sie nicht vor als die Unverbesserlichen. Sein Plädoyer verlangt mehr und berührt deshalb um so mehr. Wer gegen die Todesstrafe ist, muß auf das Feindbild des Befürworters der Todesstrafe verzichten, so lautet die These des Films, und zwar so selbstverständlich, wie man den Menschen verzeihen sollte, die mit ihrer Tat lebenslang leben müssen. Meine Wut werde ich wohl herunterschlucken müssen. Auch wenn es schwer fällt.

Christof Boy