Steffi Grafs Verbeugung vor roten Plastiksitzen

Beim Tennisturnier an der Hundekehle spielt die Nr.1 extra für Fans aus der DDR, doch trotz des Sonderpreises bleiben viele Plätze frei / Aggressive Huber verliert  ■  Aus Berlin Herr Thömmes

Es waren die verschiedensten Wünsche, die in den Tagen nach dem denkwürdigen 9. November nach rascher Realisierung drängten. Die einen führte der erste Weg zum Kudamm, endlich die leuchtenden Konsumtempel zu sehen, andere suchten Verwandten auf, Pornoläden waren stark frequentiert, palettenweise schleppten Kids Coladosen zurück, vorbei an verunsicherten Grenzern. Und dann waren da noch jene, die die ungewohnte Freiheit sofort nutzten bei Eberhard Wensky vorzusprechen: Wie das denn sei mit der Möglichkeit, im kommenden Mai Steffi Graf zu sehen?

Schlecht, mußte der Berliner Turnierdirektor wahrheitsgemäß anworten, weil die Heimstadt dieses Stars der Centre Court und der vorab ausverkauft ist. Aber gefackelt wurde nicht lange, zumal die Sponsoren sich nicht zierten, 60.000 DM für Auf- und Abbau einer zusätzlichen Stahlrohrtribüne auf dem Court B auszugeben; reserviert für DDR-Bürger. So also kam es zur einmaligen Gelegenheit die Weltranglistenerste, in deren Branche üblicherweise in Dollar gerechnet wird, mit weicher Währung bewundern zu dürfen.

Irgendwas muß dann doch schief gelaufen sein. Als am Dienstag Steffi Graf gewohnt hurtig in fünfzig Minuten ihre Arbeit gegen Mercedes Paz aus Argentinien absolvierte (6:1, 6:2), blieben eine Menge der roten (sic!) Plastiksitze frei. Am Preis kann das nicht gelegen haben. Zehn Mark (Ost) für eine Gelegenheit, die ansonsten mit 25 bis 35 DM zu Buche schlägt, läßt sich schon aufbringen. Zu vermuten ist vielmehr, daß der Ostberliner Tennisverband, dem 7.000 Karten zum Verkauf überlassen wurden, nicht zurande kam mit dieser Aufgabe.

Nicht unbedingt durch eigenes Verschulden, wie ein Journalist aus Ost-Berlin zu bedenken gibt: „Ohne Telefon, die Post funktioniert nicht.“ Und außerdem: Haben die Leute heute nicht anderes im Kopf, wo die erste Euphorie über den Fall der Mauer der Ernüchterung und Sorge um die Zukunft gewichen ist? „In jeder Familie ist irgendwer in seiner Existenz bedroht.“ Ganz wie erwünscht ist die Morgengabe des Westens mithin nicht angekommen.

Geplant jedenfalls war sie so: Jeden Tag bis zum Halbfinale am Samstag können 1.400 Tennisbegeisterte aus der DDR zum Discountpreis den weltbesten Frauen zusehen, den Erlös, rund 70.000 Mark (Ost), kann der Berliner Tennisverband zur Aufbauarbeit verwenden. Die Summe wird nun, nach den Mängeln der zentralen Kartenbewirtschaftung, etwas geringer ausfallen, aber immerhin: Der gute Wille (Wensky: „Sportfreunde, wir wollen was für euch machen“) zu solidarischen Tennishilfe war da.

Auch die Hauptperson spielte mit, als „Verbeugung“ ('dpa‘) vor den ungewohnten Gästen sogar auf dem kleineren Nebenplatz und dem Versuch, „ein paar schöne Bälle für das Publikum zu zeigen“. Eifrig signierte sie nach dem Match Programme und T-Shirts und lernte einen neuen Trick der Autogrammjäger kennen: „Jeder kommt und sagt: 'Ich bin aus der DDR‘.“

Auf den roten Sitzen jedenfalls empfand nicht nur Lutz Noske „ein schönes Gefühl der Dankbarkeit“. Es war ja auch einiges zu sehen auf Platz B an diesem Tag. Der schnelle Abtritt der Wiltrud Probst gegen Katharina Malejewa zum Beispiel (6:1, 6:0) oder ein Kuriosum der ganz besonderen Art: Das wegen Dunkelheit beim Stand von 6:6 im dritten Satz abgebrochene Doppel Albinus/Villagran - Smoller/Radford wurde mit Tiebreak fortgesetzt und dauerte ganze drei Minuten, nachdem Albinus mit zwei Doppelfehlern das andere Duo gestärkt hatte.

Oder das bisher schönste Spiel des Turniers zwischen Anke Huber und Judith Wiesner (Österreich), bei dem die 15jährige aus Heidelberg eine für ihr Alter geradezu furchterregende Aggressivität zeigte. Wohl mußte sie sich letztlich der Routine beugen (4:6, 7:6, 4:6), doch der Teamchef des Federationcup, Klaus Hofsäß, war begeistert: „Wie die draufgeht auf den Ball.“ Beim nächsten Einsatz für die Bundesrepublik, im Juli in Atlanta, wird Huber - trainiert von Beckers Entdecker Breskvar - dabeisein, ebenso wie die 14jährige Marketa Kochta.

Die Rohrtribüne wird dann nicht mehr auf dem Gelände des Tennisclubs Rot-Weiß stehen, und im Zuge der Währungs- und auch sonstiger -unionen wird sich die Aktion im kommenden Jahr erübrigen. Einerseits. Bloß, und das räumt Eberhard Wenzky gerne ein, „ist die Sache für uns auch ein Test“. Verträgt die schöne Anlage im vornehmen Grunewald den täglichen Ansturm von 9.000 Menschen, ohne die ihr eigene Gemütlichkeit zu verlieren?

Schließlich ist dies einer der letzten Orte im geblähten Tenniszirkus wo nicht geklotzt wird, wo saftiges Grün und der stille Hundekehlesee eher betuliche Atmosphäre verbreiten. Und dies Image will man behalten: „Wir sind keine Betonmaschine“ (Wensky). Es könnte sich aber auch herausstellen, daß die 1.400 Besucher mehr gar nicht weiter auffallen, und sollten dann die Mehreinnahmen nicht mitgenommen werden, wenngleich sie im Etat von 2,5 Millionen keine allzugroße Rolle spielen?

Das fragt sich auch Eberhard Wensky. Einfach andererseits.

Einzel, 1. Runde: Wiltrud Probst (Fürth) - Bettina Fulco (Argentinien) 6:3, 4:6, 6:2; Larissa Sawtschenko (UdSSR) Claudia Kohde-Kilsch (Saarbrücken) 6:1, 6:7, 6:1; Magdalena Malejewa (Bulgarien) - Andrea Temesvari (Ungarn) 6:2, 6:1; 2. Runde: Katia Piccolini (Italien) - Florencia Labat (Arg) 3:6, 6:4, 6:3; Nathali Tauziat (Fra) - Nicole Provis (Aus) 6:4, 6:7, 6:4; Judith Wiesner (Ö) - Anke Huber (Heidelberg) 6:4, 6:7, 6:4; Helen Kelesi (Kanada) - Katharina Düll (Berlin) 6:1, 6:4; Steffi Graf (Brühl) - Mercedes Paz (Argentinien) 6:1, 6:2; Katharina Malejewa (Bulg) - Wiltrud Probst (Fürth) 6:1, 6:0; Leila Meski (UdSSR) - Regina Rajchrtova (CSFR) 6:1, 6:1; Radka Zrubakova (CSFR) Catarina Lindqvist (Swd) 6:0, 6:3, Natalia Zwerewa (UdSSR) Ann Grossman (USA) 4:6, 6:3, 6:2; Jana Novotna (CSFR) Cecilia Dahlman (Schweden) 7:5, 6:4; Janine Thompson (Aus) Lori McNeil (USA) 7:6, 1:6, 6:3; Conchita Martinez (Spanien) - Natalia Medwedewa (UdSSR) 6:4, 6:3