Brüsseler Hilfe tröpfelt weiter auf den heißen Stein

Europaparlament ratifizierte Abkommen mit 68 Staaten aus Afrika, der Karibik und dem Pazifik In Zukunft: 26 Milliarden D-Mark Hilfe bei 266 Milliarden D-Mark Verschuldung  ■  Aus Brüssel Michael Bullard

Revolutionsbedingt lassen viele Entwicklungshelfer aus den ehemals realsozialistischen Ländern zur Zeit ihre Projekte im Stich. Doch nicht allein deswegen fürchten viele Länder der Dritten Welt, durch die Veränderungen im Osten nun gänzlich an den Rand der eurozentrischen Welt gedrängt zu werden. Um gut Wetter zu machen, schickte die EG letzte Woche ihren für Entwicklungsfragen zuständigen Kommissar Abel Matutes voran.

Der Kommissar verwies zunächst vorsichtshalber wieder einmal darauf, daß die Europäische Gemeinschaft inzwischen mehr als die Hälfte der weltweiten Entwicklungshilfe für Afrika bestreitet. Dennoch, fuhr er fort, solle die EG ihre Finanzhilfe für 40 Staaten Lateinamerikas und Asiens zwischen 1991 und 1995 um 83 Prozent aufstocken.

AKP-Abkommen soll weiterlaufen

Außerdem, so beschwichtigte der Kommissar, würden die sogenannten AKP-Länder auch nicht unter der westeuropäischen Ostpolitik zu leiden haben. Seit 1975 unterhält die EG mit zur Zeit 68 Staaten aus Afrika, der Karibik und dem Pazifik (deswegen „AKP“) besondere Wirtschaftsbeziehungen. Namibia soll sofort in diesen Klub ehemaliger Kolonien aufgenommen werden, sobald sein Unabhängigkeitsprozeß abgeschlossen ist. Das neue Abkommen mit den AKPs wurde vergangenen Mittwoch vom Europaparlament ratifiziert.

Nachdem dem Straßburger Gremium 1987 mehr Mitspracherechte in Sachen Entwicklungspolitik eingeräumt wurden, hatte es diesmal die Chance, einige Forderungen der AKP-Länder mit durchzusetzen. Nun wird die Finanzhilfe real um 26 Prozent auf 26 Milliarden D-Mark steigen. Außerdem schloß man sich einem Vorschlag der grünen Eurofraktion an, den größten Teil des Geldes als Subvention zu vergeben, die nicht zurückgezahlt werden muß.

Um die AKP-Länder weniger abhängig von den schwankenden Rohstoffpreisen zu machen, wurde das Budget eines Ausgleichstopfes von knapp zwei auf drei Milliarden erhöht. Konkret: wenn die Absatzpreise für Rohstoffe fallen, zahlt die EG einen Ausgleich, mit dem Investitionen im Verarbeitungssektor gefördert werden sollen. Außerdem habe, so berichtete Kommissar Matute, die EG 96 Prozent aller Importzölle für die AKP-Staaten abgeschafft.

Schön und gut, nur: ausgerechnet landwirtschaftliche Produkte, die Haupteinnahmequelle einiger AKPler unterliegen weiterhin scharfen Zollvorschriften.

Wie wenig die bisherigen Zugeständnisse der EG den AKP -Staaten gebracht haben, zeigt sich daran, daß ihr Anteil am Gesamtimport in die EG seit 1975 („Lome I“) von acht auf 3,8 Prozent 1989 gesunken ist. Das einzige was stieg, war die Verschuldung: auf 266 Milliarden D-Mark. Allein für den Schuldendienst mußten die Länder ein Vielfaches dessen aufwenden, was die Europäische Gemeinschaft ihnen an Entwicklungshilfe zuschießt.

Strukturanpassung nach dem Vorbild des IWF

Deshalb wird die EG - nach dem zweifelhaften Vorbild von Internationalen Währungsfonds und Weltbank - in Zukunft auch Strukturanpassungsprogramme einrichten. Aber, so der für „Lome“ zuständige Berichterstatter des Europarlaments, Leo Tindemans, man werde alles besser machen: den Menschenrechten, der Umwelt und der Gleichstellung der Frau werde Vorrang eingeräumt. Außerdem, so Tindemans, sei das Entwicklungshilfebudget der Europäischen Gemeinschaft stärker ausgeweitet worden als in anderen Industriestaaten. Tatsächlich hat die Brüsseler Hilfe in den vergangenen Jahren stetig zugenommen, liegt allerdings immer noch unter dem Bonner Niveau.

Die Grünen hatten eine „fundamentale Abkehr von der bisherigen neo-kolonialen Politik der EG“ verlangt und weigerten sich, die Ratifizierung des AKP-Abkommens mitzutragen. „Dies ist keine Entscheidung gegen die AKP -Völker“, erklärte der grüne Vizepräsident des Europaparlaments, Wilfried Telkämper, „sondern eine Entscheidung für eine neue Entwicklungspolitik.“