Massive Streikbewegung in Nicaragua

Ausstand des öffentlichen Dienstes legt die Wirtschaft lahm / Außenministerium von Angestellten besetzt / Präsidentin Chamorro verhandelt selbst / Contras stellen ihre Demobilisierung ein / Parteitag der FSLN wurde deshalb auf unbestimmte Zeit verschoben  ■  Aus Managua Ralf Leonhard

Zum ersten Mal in der Geschichte Nicaraguas zeigen Arbeiter und Angestellte ihre Macht. Nachdem eine Streikbewegung im öffentlichen Dienst das Wirtschaftsleben weitgehend lahmgelegt hatte, begann die Regierung Dienstag spätnachts einzulenken.

Arbeitsminister Francisco Rosales, ein Hardliner, wurde als Verhandlungsführer abgelöst, und Präsidentin Chamorro wird selbst mit den Gewerkschaftern sprechen. Am Dienstag vormittag noch hatte die Regierung eine Sondereinheit der Polizei zu einem Loyalitätstest vor das Außenministerium geschickt. Mehr als 300 Angestellte - von ehemaligen Botschaftern bis zum Reinigungspersonal - hielten das Gebäude seit Donnerstag besetzt. Trotz des Polizeieinsatzes verweigerten sie ihrem neuen Chef, Außenminister Enrique Dreyfus, den Zutritt. Auch als Comandante Christian Munguia Befehl zum Tränengaseinsatz gab, wich die menschliche Mauer vor dem Haupteingang nur für wenige Minuten zurück.

Den Polizisten, ausgerüstet mit US-amerikanischen Tränengasgranaten und sowjetischen Gasmasken, war der Zwiespalt zwischen Solidarität mit den Angestellten und Pflichterfüllung anzumerken. Nach zwei Stunden heftigen Ringens zogen sie unter Applaus wieder ab.

Die Streiks in Nicaragua hatten inzwischen auch den öffentlichen Transport, das gesamte Fernmeldewesen, das Gesundheitspersonal und die Lehrerschaft erfaßt.

Dienstag nachmittag wurde sogar der internationale Flughafen geschlossen, nachdem die Fluglotsen die Arbeit niedergelegt hatten. Die Arbeiter des Wasserwerks und die Energiebehörde machten hingegen ihre Streikdrohungen nicht wahr.

Die Streikenden verlangen weiter eine 200prozentige Lohnerhöhung (angeboten werden 60 Prozent). Außerdem fordern sie die Wiedereinstellung der bereits entlassenen Arbeiter und Garantien für eine beschleunigte Demobilisierung der Contras. Die haben nämlich ihre Entwaffnung nach 785 Demobilisierungen (von über 16.000 Kämpfern) eingestellt.

In der Gegend von Jinotega im Norden haben Contra-Gruppen, die sich bereits gesammelt hatten, die „Sicherheitszone“ wieder verlassen. Nach Angaben der Armee sollen sie mindestens 600 Rinder gestohlen haben. Inzwischen haben sich auch schon wieder die ersten 400 angeblich unbewaffneten Kämpfer über die Grenze nach Honduras aufgemacht.

Die Sandinisten haben aufgrund des schleppenden Contra -Demobilisierung ihren für letztes Wochenende angekündigten Parteitag auf unbestimmte Zeit verschoben.