Heulen und Zähneklappern beim NDR

Die CDU-dominierte Rundfunkanstalt bestrahlt jetzt drei SPD-regierte Länder / Führungsriege mit Muffensausen  ■  Aus Hannover Axel Kintzinger

Ernst Albrecht, gerade erst abgewählt, konnte eine bekannte Verhaltensweise noch nicht abstreifen: „Woher kommen Sie?“ wollte der Ministerpräsident von einem Fernsehteam wissen; und vollends verstummte er, als sein Gegenüber sich mit „SAT 1“ vorstellte. Die niedersächsische Regionalsendung dieses Privatkanals scheint Albrecht ebenso wenig zu schmecken wie das private „radio ffn“ dem CDU-Fraktionschef Jürgen Gansäuer. „Ich rede mit jedem, aber nicht mit ffn“, blaffte Gansäuer einem verdutzten Reporter dieses Senders am Wahlabend ins Mikrophon.

Die CDU ist unzufrieden mit den Folgen ihrer Medienpolitik

-die angestrebte Vielfalt im dualen Rundfunksystem (öffentlich-rechtliche Sender und private im trauten Nebeneinander) ging in ihren Augen nach hinten los. CDU-nahe Berichterstattung steht den wirtschaftlichen Interessen von Privatsendern mindestens dann entgegen, wenn sie eine junge Zielgruppe anpeilen. Aber die Union hatte ja den NDR. Und dort wurden schon am Wahlabend vor allem in den Leitungspositionen viele vom großen Muffensausen gepackt. Jahrelang hatten sie der Albrecht-Regierung devot gedient, sorgten bis hin zur Besetzung kleinster Redakteursposten für eine klare parteipolitische Ausrichtung.

„Stell dir vor“, empörte sich noch in der Wahlnacht einer der wenigen linken Hörfunkredakteure aus der Vor-Albrecht -Ära, „die haben in dieser Woche, noch drei Tage vor der Wahl, eine Presseerklärung der CDU wörtlich über den Sender gebracht - und als Eigenbericht ausgewiesen.“ Geschichten dieser Art wissen viele vom NDR in Hannover zu berichten. Wer nicht „auf dem schwarzen Ticket“ in den Sender hineingerutscht oder die Hierarchie hinaufgeklettert ist, hofft nun auf ein Großreinemachen - auch auf die Gefahr hin, daß in der Öffentlichkeit somit auch weiterhin der Eindruck von Staatsnähe bestehen bleibt.

Personalpolitische Konsequenzen werden nicht nur im hannoverschen Funkhaus erwartet. Der CDU-geführte NDR bestrahlt nun drei SPD-geführte Länder. In der Hamburger Zentrale müssen einige um ihren Posten bangen - zum Beispiel Henning Röhl, Chef von ARD aktuell. Der ehemalige Hörfunkleiter des Kieler NDR-Hauses stand Ex -Ministerpräsident Uwe Barschel derart nahe, daß er nach dessen Fall an der Förde untragbar und ausgerechnet nach Hamburg weggelobt wurde. Sein Vertrag läuft im kommenden Jahr aus - eine Verlängerung scheint unter den neuen Rahmenbedingungen ausgeschlossen. Auch Ulrike Wolf, ehemalige Tagesthemen-Moderatorin und Politik-Chefin beim NDR-Fernsehen, muß sich eventuell auf eine neue Position einstellen. Für welche Partei ihr Herz schlägt, war auch an diesem Wahlabend augenscheinlich: Frau Wolf wurde im Laufe der Hochrechnungen zunehmend blasser. Und NDR-Intendant Peter Schiwy (CDU) wird nicht darauf setzen können, sein Amt bis zum vertraglich vereinbarten Jahr 1992 ausüben zu können.

Volker Bräutigam, NDR-Personalratsvorsitzender und Hamburger IG-Medien-Chef, hofft jedoch, „daß nicht nur Figuren ausgetauscht werden“. Ein „personelles Revirement“ in den Führungsetagen sei zwar notwendig, aber Bräutigam fordert auch eine kritische Überprüfung des Staatsvertrages. Jetzt gehe es um eine grundsätzliche Existenzsicherung des öffentlich-rechtlichen Riesen und um eine wirklich staatsunabhängige Umsetzung des Programmauftrages. Dazu gehört für den Gewerkschafter auch, „tatsächlich gesellschaftlich relevante Gruppen in den Rundfunkrat zu holen“ - und Fossilien wie etwa die Vertriebenenverbände vor die Tür zu setzen. Immerhin: Eine „atmosphärische Veränderung“ im NDR sei schon am Tag nach der Wahl auszumachen gewesen.