Redakteure proben den Ausstand

■ Streikaktionen in vielen Tageszeitungen: Notausgaben pflastern die Republik / Journalistenverbände erweisen sich als mobilisierungsfähig / Konflikt um freie Tage

Berlin (taz) - Der 'Süddeutschen Zeitung‘ hätte es beinahe eine Premiere verhagelt: Am letzten Freitag, vom Streik betroffen, beglückte sie ihre LeserInnen mit einer Notausgabe, um die erste Nummer einer neu konzipierten Hochglanzbeilage überhaupt ausliefern zu können. Am Dienstag traf es die 'Süddeutsche‘ schon wieder. Das Flaggschiff der überregionalen Zeitungen ist gleichzeitig eine Hochburg der Journalistenverbände bei der Tarifauseinandersetzung für RedakteurInnen von Tageszeitungen.

Die deutsche Journalistenunion in der IG Medien (dju) und der unabhängige Deutsche Journalistenverband (DJV) mobilisieren seit zwei Wochen ihre Mitglieder in den Redaktionen für die 35-Stunden-Woche, für Gehaltserhöhungen (9,5 Prozent für fest angestellte, 11,5 Prozent für freie MitarbeiterInnen) und für einen Volontärstarifvertrag, in dem Anforderungen an eine Redakteursausbildung festgeschrieben werden.

Die Mobilisierung war nicht nur bei der 'Süddeutschen‘ überraschend erfolgreich - es traf sogar den konservativen 'Münchner Merkur‘. Nach Angaben der Journalistenverbände wurde am letzten Donnerstag in über hundert und am Dienstag in 75 Redaktionen gestreikt. Viele Zeitungen konnten wie die 'Süddeutsche‘ nur als Notausgabe erscheinen.

Die Gewerkschaften werden mit Freude zur Kenntnis genommen haben, daß bei ausreichender Beteiligung Arbeitsniederlegungen im redaktionellen Bereich ebenso große Wirkungen haben können wie in den Herstellungsabteilungen. Hier war es bei früheren Arbeitskämpfen der IG Druck und Papier häufig nicht mehr gelungen, die Herstellung umfangreicher Notausgaben mit Hilfe von Streikbrechern zu verhindern.

Nach Einschätzung der Tarifparteien läge eine Einigung der Kontrahenten über die Forderungen durchaus im Bereich des Möglichen. So einigte man sich bereits darauf, die Wochenarbeitszeit in den Redaktionen (derzeit 38,5 Stunden) bis 1998 in Stufen auf 35 Stunden zu verkürzen. Unvereinbare Positionen gibt es aber in der Frage, wie die Arbeitszeitverkürzung umgesetzt werden soll.

Die Gewerkschaft fordert regelmäßige freie Tage, während die Verleger eine tägliche Arbeitszeitverkürzung favorisieren - in der Hoffnung, daß JournalistInnen kaum in der Lage sein werden, nach exakt sieben Stunden den Redigierstift fallen zu lassen. Eine Einigung war bis Mittwoch morgen nicht in Sicht. Nächste Woche soll weiterverhandelt und - wenn wieder kein Kompromiß zustandekommt - auch weitergestreikt werden. In den verbleibenden Tagen werden die Zeitungsausgaben wieder vollständig sein und beide Parteien auf Kompromißsuche gehen. Immerhin: Die Gewerkschaften wollen nicht ausschließen, daß es zu einer Urabstimmung über einen Streik kommt.

marke