Abstriche an der Apartheid

Die scheinunabhängigen „Homelands“ als nicht mehr wichtig erklärt / Ihre Zukunft soll „von Verhandlungen abhängen“ / Weitgehende Aufhebung der Apartheid im Schul- und Gesundheitswesen angekündigt  ■  Aus Johannesburg Tim Murphy

Drastische Änderungen ihrer Apartheid-Politik hat die südafrikanische Regierung angekündigt. Am Dienstag erklärte Entwicklungshilfeminister van der Merwe, die Regierung betrachte die Unabhängigkeit der von ihr geschaffenen „Homelands“ nicht mehr als wichtige Angelegenheit; deren Zukunft sei „eine Sache von Verhandlungen.“

Andere Regierungsmitglieder stellten gleichzeitig die Apartheid im Schulsystem und im Gesundheitswesen zur Disposition. Beobachter sehen die überraschenden Verlautbarungen als Versuch, Staatspräsident de Klerk, der sich derzeit auf einer Tour durch neun europäische Staaten befindet, zusätzliche Glaubwürdigkeit zu verschaffen. De Klerk bemüht sich um die Aufhebung der Sanktionen gegen Südafrika.

Die zehn von Pretoria geschaffenen schwarzen „Homelands“ meist unfruchtbare, abgelegene Gegenden - galten als Kernstück der Apartheidpolitik. Vier der zum Teil zerstückelten Territorien - die Transkei, Bophuthatswana, Venda und die Ciskei - wurden von Südafrika seit 1976 für unabhängig erklärt. Dahinter stand der Traum weißer Führer, ein mehrheitlich von Weißen bewohntes Kernland zu schaffen, das sich der billigen Arbeitskraft der neuen „unabhängigen“ schwarzen Nachbarstaaten bedient.

Tatsächlich hatte Pretoria in letzter Zeit verstärkt Einfluß auf die Marionettenregierungen der schwarzen Kleinstaaten verloren. Einzig verbliebener Herrscher alten Stils ist der Chief von Bophuthatswana, Lucas Mangope, der tönt, sein Land werde „noch in hundert Jahren unabhängig sein.“

Überraschender noch kamen die Ankündigungen für ein nichtrassisches Schulsystem. Die künftige Regierung werde nichtrassisch sein, und so müsse sich auch das Bildungswesen ändern, erklärte der Vize-Erziehungsminister beinahe lakonisch. Im derzeit noch strikt getrennten Errziehungswesen wird für ein weißes Schulkind knapp fünfmal soviel ausgegeben wie für ein schwarzes. Nicht eingerechnet dabei sind die Homelands, wo sich zum Teil weit über einhundert Kinder in einer Klasse drängeln, vorausgesetzt, sie gehen überhaupt zur Schule.

Gesundheitsministerin Rina Venter versprach unterdessen gestern eine komplette Neustrukturierung des Gesundheitswesens. Apartheid in Schulen wie in Krankenhäusern war Gegenstand heftiger Proteste in den vergangenen Monaten. Während weiße Krankenhäuser oft halb leer sind, leidet das Gesundheitswesen für die Schwarzen, „Coloureds“ und Inder an notorischem Geldmangel und Überfüllung.