Defensive DDR-Regierung

Akzeptiert Ost-Berlin gesamtdeutsche Wahlen im Dezember?  ■ K O M M E N T A R

Die verstörten Ostberliner Reaktionen auf das Bonner Szenario vorgezogener gesamtdeutscher Wahlen offenbaren doch ein gehöriges Maß an Naivität im Umgang mit den Bonner Parteitaktikern. Denn deren Kalkül ist schlicht und überzeugend zugleich. Um das Risiko gesamtdeutscher Wahlen für die Regierungskoalition zu minimieren, müssen sie eben so schnell wie möglich kommen. So einfach läßt sich der neue Bonner Fahrplan zur Einheit begründen.

Daß den wackeren de Maiziere die tumbe Bauernmetaphorik eines Kohl, der die DDR jetzt schnell in die Scheuer bringen will, irritieren mag, ist verständlich. Doch was, muß sich die Regierungskoalition in Ost-Berlin fragen lassen, hat sie bislang unternommen, um der Bundesregierung klar zu machen, daß sie so nicht mit ihr umspringen kann? Der neue Vorstoß aus Bonn passe nicht in die Landschaft, meint DDR -Außenminister Meckel. - Er paßt: DDR-Regierung und Volk haben sich mit Staatsvertrag und möglichst schnellem Termin für die Währungsunion auf den halsbrecherischen Einheitskurs eingelassen. Mit der Beerdigung des Verfassungsentwurfs hat die Volkskammer zugleich signalisiert, daß sie an einer politischen Konsolidierung der DDR als Voraussetzung für paritätische Einheitsverhandlungen nicht interessiert scheint. Auch im außen - und sicherheitspolitischen Kontext des Einheitsprozesses blieb Meckels Vision der DDR als Ost -West-Scharnier bislang uneingelöstes Versprechen. Dafür wurde in Ost-Berlin die westlich favorisierte Nato -Mitgliedschaft Gesamtdeutschlands bereits vorauseilend akzeptiert, als andere denkbare Varianten noch kaum andiskutiert waren.

Weil die Politik der Regierung de Maiziere über wohlklingende Erklärungen hinaus bislang ihren Anspruch auf

-zumindest partielle - Souveränität nicht wirklich geltend gemacht hat, hat sie das rücksichtslose Bonner Treiben mitzuverantworten. Dazu paßt, daß auch der neue Bonner Vorstoß in Berlin nur hinter vorgehaltener Hand kritisiert wird. Zudem wird die Ablehnung nicht inhaltlich, sondern mit Verfahrensproblemen begründet - die Länder, die Beitrittsverhandlungen, die internationalen Aspekte...

Doch so einfach wird die Ostberliner Koalition dem Bonner Ansinnen nicht entgehen. Ehe sie sich versieht, werden ihr die Experten vom Rhein, die ja auch den Termindruck zur Währungsunion virtuos bewältigt haben, den ausgearbeiteten Fahrplan präsentieren wie eine Rechnung für die bisherige Halbherzigkeit.

Die Ablehnung vorgezogener Wahlen ist für Ost-Berlin nur zusammen mit dem Anspruch auf eigene politische Akzentsetzung zu vertreten. Nur wenn die DDR-Regierung den Dissens zu Bonn und ihre abweichenden Interessen deutlich macht, läßt sich der Aufschub der Einheit überzeugend begründen. Mit der bloßen Defensive jedenfalls, kann Ost -Berlin gegen die Bonner Unverschämtheit nichts mehr gewinnen.

Matthias Geis