Beharren auf die gebotene Sorgfalt

■ Die Parteien der DDR fühlen sich durch den Eilfahrplan aus Bonn erneut unter Druck gesetzt

Die Parteien der DDR hat der neue Bonner Druck auf das Tempo der Vereinigung unvorbereitet getroffen. Noch ganz mit dem Staatsvertrag beschäftigt, haben Parteigremien und Volkskammerfraktionen sich dazu noch keine Meinung gebildet. Zumindest liegen bisher nur Stellungnahmen einzelner Politiker vor. Dankward Brinksmeier, einer der Aspiranten für den künftigen SPD-Vorsitz, erklärte gestern, der Termin für gesamtdeutsche Wahlen dürfe nicht unter Druck festgelegt werden. Der amtierende SPD-Vorsitzende, Außenminister Markus Meckel, hatte bereits in einem am Vortag veröffentlichten Interview mit dem Kölner 'Express‘ erklärt: „Frühestens in einem Jahr kann es gesamtdeutsche Wahlen geben.“ Erst müsse im Herbst ein Vertrag zur deutschen Einheit ausgearbeitet werden. „Wenn wir damit fertig sind, sollten wir uns festlegen - aber keineswegs unter Zeitdruck -, wann eine gesamtdeutsche Wahl stattfinden kann.“

Der Pressesprecher der CDU, Hellmut Lück, erklärte gegenüber der taz, nach wie vor gelte die Äußerung von Ministerpräsident de Maiziere, daß diese Terminfrage bisher „kein Thema“ sei. Es müßte eine Vielzahl von „Variablen“, insbesondere die Länderbildung, überdacht werden. Allerdings „kann es sein, daß sich Situationen herausbilden, daß alles etwas schneller geht“.

Der Geschäftsführer der DSU-Fraktion in der Volkskammer, Schmieler, erklärte, in der Fraktion werde die Frage erst heute diskutiert. Seine persönliche Meinung wollte er auf Befragen nicht äußern. Weniger zurückhaltend war in dieser Beziehung Fraktionsvorsitzender H.-J. Walther. Er sprach sich am Dienstag gegenüber Journalisten in Bonn für gesamtdeutsche Wahlen am 2. Dezember aus. Zur staatlichen Existenz der DDR meinte er: „Wir wollen dieses Unternehmen auflösen, dafür sind wir angetreten.“

Bei den Liberalen erklärte der Mitarbeiter des BFD -Vorsitzenden Ortleb, Prof. Bogisch, das Präsidium werde erst in der nächsten Woche über diese Frage sprechen. In der Fraktionssitzung am Dienstag wurde „nicht einmal am Rande darüber gesprochen, weil es nur um den Staatsvertrag ging“. So könne er nur für sich selbst sprechen. Er wäre „für den frühestmöglichen Termin“, denn die „alten Strukturen“ seien nur dann zu überwinden, „wenn es die DDR nicht mehr gibt“.

Weiter sprach er sich dafür aus, in der DDR im Dezember 1990 zeitgleich Landtagswahlen und gesamtdeutsche Wahlen abzuhalten. Nur so könnte auch verhindert werden, daß einzelne Länder - er denke dabei an Thüringen - von sich aus einen Antrag auf Beitritt nach Artikel 23 stellen würden.

Konträr dazu die Position der PDS bzw. des Sprechers ihres Pressedienstes, Fehst. Die PDS sei dagegen, „über Termine zu sprechen, bevor wesentliche inhaltliche Dinge, etwa die Eigentumsfrage, geklärt sind“. Es sei ein Versuch, auf die DDR-Bürgerinnen und -Bürger erneut „Druck auszuüben“.

Marianne Birthler, Sprecherin der Volkskammerfraktion von Bündnis 90 und Grünen, erklärte gegenüber der taz, daß die Fraktion über diese Frage noch nicht diskutiert habe und sie deshalb nur ihre persönliche Meinung äußern könne. Sie hält es für „sehr gut möglich, daß die Zeitspanne zwischen Inkrafttreten des Staatsvertrages und Vereinigung besonders problematisch“ wird, da die DDR-BürgerInnen in dieser Zeit zwar einerseits eine Menge Verpflichtungen durch den Vertrag auf sich genommen haben, andererseits aber keine Möglichkeit haben, auf den (bundesdeutschen) Entscheidungsprozeß Einfluß zu nehmen. Dennoch habe sie größte Bedenken dagegen, sich jetzt auf einen so baldigen Wahltermin festzulegen, denn „kein Mensch weiß, wie sich die Situation nach dem 2. Juli, der Währungsunion, verändern wird“.

Termine festzulegen, ohne die Bedingungen zu kennen, hielt die Pressesprecherin für wenig sinnvoll. Den Vorschlag, in der DDR zeitgleich Landtags- und gesamtdeutsche Wahlen abzuhalten, lehnt sie mit der Begründung ab, daß dann die Probleme der einzelnen Länder vollständig von der gesamtdeutschen Thematik überlagert würden. Das geschähe bei den ersten Landtagswahlen seit vierzig Jahren, in denen entscheidende Weichenstellungen auch auf Länderebene stattfinden müssen.

Auch hier also ein übermäßiger Zeitdruck und eine Überforderung der DDR-Parteien statt der gebotenen Sorgfalt bei der Herausbildung neuer politischer Strukturen.

Walter Süß