39 Stillegungen in Bitterfeld

■ Sanierungsprogramm für den Katastrophen-Standort soll in dieser Woche beschlossen werden / Chemie-Frachten bleiben bis 1995 erhöht / 2.500 Jobs weniger

Berlin (taz) - Mit der Stillegung von insgesamt 39 Teilbetrieben will die eigens eingesetzte Regierungskommission Bitterfeld den Katastrophen-Standort im Bezirk Halle bis Ende 1991 sanieren. Die brisante Liste der betroffenen Betriebe soll diese Woche von der DDR-Regierung verabschiedet werden. Im Chemiekombinat Bitterfeld (CKB) und im Fotochemischen Kombinat Wolfen („Orwo“) werden durch die Stillegungen 2.500 Arbeiter „freigesetzt“. Die beiden sind die großen Dreckschleudern im Kreis.

Im CKB sind als Sofortmaßnahme bereits bis zum 1. Mai sechs Teilbetriebe geschlossen worden, darunter die Produktion des Pflanzenschutzmittels Merkaptotriazine, das Aluminiumwerk I und die Schwefeldioxid-Produktion. Die Produktionseinstellung für sechs weitere Anlagen wird schrittweise bis zum Frühjahr 1991 realisiert. Darunter befindet sich eine der beiden gefährlichen Chlorelektrolysen, die bisher zusammen jährlich fünf Tonnen Quecksilber „abgaben“, und die Betanaphtol-Anlage, deren Mottenpulvergeruch berüchtigt ist.

Weitere 13 Teilbetriebe der CKB sollen in einer dritten Stillegungsetappe folgen, darunter das Alu-Werk II und weitere Anlagen für Waschmittelprodukte, Farbstoffe, Chemiemetalle und Pflanzenschutzmittel.

Was von der DDR-Regierung als ökologische Sanierung verkauft wird, ist aber auch und vor allem hartes ökonomisches Kalkül. Viele Teilbetriebe auf der Roten Liste können dem Konkurrenzdruck nach der Währungsunion nicht standhalten. Der künftige Umweltdezernent des Kreises Bitterfeld, Rainer Frommann (CDU), bezeichnete das Sanierungspaket als „Kosmetik“. Angesichts des „Schrotthaufens“ der völlig verschlissenen Anlagen könne nur eine Totalstillegung in Betracht kommen.

Auch nach den Stillegungen wird das Kombinat große Mengen an Schadstoffen ausspucken. Die BRD-Grenzwerte könnten frühestens 1995 eingehalten werden, sagte CKB -Umweltbeauftragter Karl Enders. Zum 1. Juli soll das CKB in eine Aktiengesellschaft transformiert werden. Auch Kombinatsgeneraldirektor Adolf Eser ist bereits abserviert worden. Seit fünf Wochen leitet Günter Kawalek interimsweise das Kombinat.

-man Tagesthema Seite 3