Kein Interesse an West-Professoren

■ Westberliner Professoren als Gäste an der Humboldt-Universität stehen vor leeren Hörsälen / Angebote werden boykottiert / Ost-Studenten haben kein Interesse an linker Theorie / Im nächsten Semester wird Austausch gestoppt

Berlin. Das hatten sich die Dozenten aus dem Westen ganz anders vorgestellt. „Wir fanden es einfach großartig, an die für uns zunächst so ferne Humboldt-Universität gehen zu können“, sinniert Professor Theo Ebert vom Otto-Suhr -Institut für Politikwissenschaft an der Freien Universität, „dort über unsere Themen zu sprechen, so daß wir gewissermaßen fast blindlings auch die Möglichkeit ergriffen haben. Ich hätte gedacht, daß da Hunderte von Studenten kommen.“ Doch nur ein Dutzend Interessenten fanden den Weg in den Hörsal an der Humboldt-Universität, als Ebert am vergangenen Dienstag über gewaltfreien Widerstand und zivile Verteidigung sprach. Unter den wenigen Zuhörern dominierten dann auch noch Dozenten.

So wie Ebert geht es fast allen Dozenten vom Otto-Suhr -Institut, die in diesem Semester Veranstaltungen an der Uni Unter den Linden anbieten. Die Resonanz geht gegen Null. So erschien buchstäblich niemand zu einem Seminar von Richard Stöß über Rechtsextremismus in der DDR. Von den dreißig angebotenen Veranstaltungen - Vorlesungen, Seminare, Kolloquien - sind die meisten inzwischen mangels Beteiligung abgesagt worden.

Der Initiator, FU-Politikwissenschaftler Peter Grottian, ist sauer auf seine professoralen Kooperationspartner von drüben, denn die scheinen nach anfänglicher Offenheit auf Abwehr umgeschaltet zu haben. So wurden die Veranstaltungen in der Humboldt-Universität praktisch überhaupt nicht bekannt gegeben. Plakatserien, die das Otto-Suhr-Institut ausgehängt hatte, waren abgerissen worden. Grottian wirft den ehemaligen Marxismus-Leninismus-Dozenten vor, einen Kommunikationsprozeß mit den OSI-Kollegen abzublocken: „Man hat den Eindruck, sie verschanzen sich wieder in einer Wagenburg, sagen vielleicht, das und das brauchen sie von uns, und dann ist es zu Ende.“ Kritik hatten die OSI -Vertreter schon vor Semesterbeginn daran geäußert, daß die Humboldt-Dozenten ihrerseits nur eine schmale Palette von Veranstaltungen am OSI angeboten hatten. Auch diese finden wenig Resonanz.

Eine Absolventin der Humboldt-Universität erklärt sich das Desinteresse ihrer KommilitonInnen an dem Lehrimport aus dem Westen damit, daß das meiste Engagement in die Suche nach Arbeit und in die Befriedigung von Bedürfnisssen wie Reisen und Konsum gehe: „So primitiv, wie das klingt. Aber das wird sich ändern, und dann werden andere Dinge wieder eine größere Rolle spielen.“ Sie selbst hat festgestellt, daß politische und vor allem linke Themen keine Resonanz unter ihren KomilitonInnen finden: „Die interessieren sich am ehesten für Themen wie parlamentarisches System. Sie wollen wissen, wie sie sich in dem neuen System einrichten können.“ Einem Gaststudenten aus Frankfurt am Main kommen die gesellschaftswissenschaftlichen Studenten an der Humboldt -Universität „extrem lethargisch“ vor. Neugierde sei kaum vorhanden: „Die Leute spulen hier einfach den Stundenplan ab.“

Nach den miserablen Erfahrungen dieses Semesters plant das Otto-Suhr-Institut für das Wintersemester keine Neuauflage des Lehraustauschprogramms. Grottian fordert stattdessen, in eine öffentliche Diskussion über die Neustrukturierung der Berliner Hochschullandschaft einzutreten.

wist