Tenniscracks im Fegefeuer

Steffi Graf „enttäuscht“ von der Boulevardpresse, aber trotzdem im Viertelfinale der Internationalen Deutschen Tennismeisterschaften der Frauen / Sabatini, Seles, Fernandez im Achtelfinale  ■  Aus Berlin Matti Lieske

Knüppeldick kommt es derzeit für die Tennisspielerinnen und Tennisspieler - zumindest für einige von ihnen. Alles fing damit an, daß Boris Becker böse Worte über die 'Bild' -Zeitung äußerte, die sich natürlich nicht lumpen ließ und geduldig auf die Chance zum Gegenschlag wartete. Die kam, als der Tennisrecke und seine Freundin sich trennten. Fortan wichen die Reporter nicht von seinen Fersen, jede Frau, die sich ihm auf mehr als zwanzig Meter näherte, wurde flugs zur neuen Geliebten ernannt, und dann war da auch noch die Sache mit der Hafenstraße. Solange wurde die Affinität Beckers zu den wüsten Gesellen von St. Pauli beschworen, bis ganze Horden von randalierenden Polizeibeamten unter fadenscheinigen Vorwänden die Häuser stürmten, nur um nachzuschauen, ob sich vielleicht noch ein paar versprengte Freikarten für das Tennisturnier am Rothenbaum auffinden ließen.

Über allem thronte bislang unantastbar die Queen herself, Steffi Graf, edelmütig und moralingefestigt, die Rita Süssmuth des Center Courts sozusagen. Doch parallel zu deren hannoverschem Wahldebakel wurde nun auch Steffi rüde auf den Boden der Wirklichkeit und ins journalistische Fegefeuer geschubst. Eine konzertierte Regenbogen- und Boulevardaktion suchte sich das schwächste Glied der Graf-Kette für ihre absurde Attacke aus: den Vater, dem mit großem Getöse eine so harmlose wie windige Geschichte untergejubelt wurde: eine außereheliche Liebesbeziehung. „Bitter enttäuscht“ sei sie von dem Blatt, mit dem sie doch einen Exklusivvertrag habe, sagte Steffi, die also bislang offensichtlich noch an das Gute im Menschen beziehungsweise Journalisten geglaubt hatte. „So vieles, was da geschrieben wurde“, sei überhaupt nicht wahr, und die Sache werde auf jeden Fall „Konsequenzen“ haben.

Keine Konsequenzen hatte die Sache für ihr Auftreten auf dem Tennisplatz. In gewohnter Manier erreichte die Weltranglistenerste blitzartig das Viertelfinale, indem sie in 42 Minuten die Qualifikantin Katia Piccolini mit 6:0 und 6:1 abservierte. Die Italienerin war zudem das erste Opfer eines weiteren Anschlages auf die tennisspielende Zunft. Dieser soll künftig nach dem Willen der Spielerinnengewerkschaft (WITA) die übermäßige Geräuscherzeugung untersagt und mit Ermahnung, Verwarnung und Punktabzug geahndet werden. Das laute Stöhnen bei jedem Schlag hatte vor allem der amerikanische Tennisgigolo und Erfolgstrainer Nick Bollettieri seinen Zöglingen eingetrichtert, und so ist es kein Wunder, daß die erfolgreichste Bollettieri-Schülerin Monica Seles gleichzeitig auch die lauteste ist. Es handelt sich bei der neuen Bestimmung also um eine Art „Lex Seles“, und da die jugoslawische Dritte der Weltrangliste derzeit die härteste Konkurrentin von Steffi Graf ist, wäre es doch gar nicht verwunderlich, wenn da nicht der Vater...nun gut, lassen wir das, der Mann hat genug am Hals.

Während Katia Piccolini wegen ihres Seles-Stöhnens ermahnt und deutlich eingeschüchtert wurde, präsentierte sich die Jugoslawin selbst bei ihrem ersten Match relativ leise. Gegen die Niederländerin Nicole Jagerman kamen ihre beidhändig geschlagenen Vor- und Rückhände auch ohne phonetischen Aufwand wie vom Katapult geschnellt und in 45 Minuten hatte sie mit 6:1, 6:0 gewonnen. Eine Minute längert brauchte die Argentinierin Gabriela Sabatini an ihrem 20. Geburtstag beim 6:2, 6:1 gegen Elise Burgin und auch die an Nummer 4 gesetzte Mary-Joe Fernandez, US-Bürgerin aus Santo Domingo, hatte keine Mühe, mit einem 6:3, 6:3 gegen Sabine Hack aus München ins Achtelfinale einzuziehen.

Achtelfinale: Steffi Graf (Brühl) - Katia Piccolini 6:0, 6:1; Leila Meschki (UdSSR) - Katarina Malejewa (Bulgarien) 4:6, 6:2, 6:0; Nathalie Tauziat (Frankreich) - Jana Novotna (CSFR) 2:6, 7:5, 7:5; Natalia Zwerewa (UdSSR) - Radka Zrubakova (CSFR) 7:5, 6:1.

2. Runde: Monica Seles (Jugoslawien) - Nicole Jagerman (Niederlande) 6:1, 6:0; Mary-Joe Fernandez (USA) - Sabine Hack (München) 6:3, 6:3; Magdalena Malejewa (Bulgarein) Helen Kelesi 6:0, Aufgabe Kelesi; Gabriela Sabatini (Argentinien) - Elise Burgin (USA) 6:2, 6:1; Sandra Cecchini (Italien) - Janine Thompson (Australien) 3:6, 6:3, 7:5; Larissa Sawtschenko (UdSSR) - Hana Mandlikova (Australien) 6:3, 6:0.