Bekenntnisse von Möchtegern-Bundesbürgern

Der Ministerrat will die Verfassung der DDR durch die kalte Küche ändern / Per Gesetzentwurf soll die Verfassung für den Staatsvertrag passend gemacht werden / PDS und Bündnis 90 sind dagegen / SPD „im Grundsatz“ einverstanden  ■  Von Brigitte Fehrle

Berlin (taz) - Fast flehentlich bat Wolfgang Ullmann (Bündnis 90) darum, den Dialog über eine neue Verfassung für die DDR jetzt nicht abzubrechen. Sein Appell, gerichtet an die 400 Abgeordneten der Volkskammer, mutete nahezu anachronistisch an. Der „Gesetzentwurf zur Änderung und Ergänzung der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik“ fand gestern die uneingeschränkte Zustimmung von CDU, DSU und Liberalen. „Im Grundsatz“ war die SPD einverstanden. Ablehnung nur bei PDS und Bündnis 90.

Die Absicht des Ministerrats, der diesen Entwurf in die Volkskammer einbebracht hat, ist eindeutig: Zum einen soll die leidige Debatte um eine neue Verfassung damit endlich vom Tisch. Die alte - und ergänzte - soll dann gelten, bis das Grundgesetz in der DDR in Kraft tritt. Und man wolle die Stolpersteine, die die derzeitige Verfassung dem Staatsvertrag mit der BRD in den Weg legt, beseitigen, eine „Kollision“ zwischen Staatsvertrag und Verfassung vermeiden, leistete der SPD- Abgeordnete Schwanitz der Regierung Argumentationshilfe.

Es war die Rednerin der Fraktion der PDS, der es überlassen blieb, Rechtstaatlichkeit und Prinzipien der parlamentarischen Demokratie einzuklagen. „Das Normale wird umgekehrt“, sagte sie und meinte damit, daß mit diesem Verfahren nicht ein Gesetz der Verfassung, sondern die Verfassung gewünschten Verträgen angepaßt wird. Nicht die innere Entwicklung in der DDR sei ausschlaggebend für die Verfassungsänderung, sagte sie, sondern der Wunsch der Regierung, den Staatsvertrag möglichst schnell unter Dach und Fach zu bringen. So wundert es auch nicht, daß alle Artikel des Gesetzentwurfes sich auf Anforderungen beziehen, die der Staatsvertrag stellt. Artikel 2 macht den Erwerb von Privateigentum an Grund und Boden und Produktionsmitteln möglich, Artikel 3 garantiert wirtschaftliche Handlungsfreiheit für Personen und Betriebe, einschließlich der Außenwirtschaft. Artikel 4 regelt das Tarifverhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Und der letzte, Artikel 7, ist ein Freibrief für alle weiteren Verfassungsänderungen. Per „Verfassungsgesetz“, so heißt es da, könnten in Zukunft Staatsverträge, soweit sie die Verfassung berühren, bestätigt werden.

Die Sozialdemokraten forderten lediglich kosmetische Änderungen. Dem Recht auf Eigentum wollen sie eine soziale und ökologische Verpflichtung beifügen; der Staat soll nicht nur, wie in Artikel 6 geregelt, die Arbeit schützen, sondern auch die Pflicht haben, Arbeit zu fördern. Hier nachzubessern, sei Aufgabe der Ausschüsse, in die das Gesetz gestern nach der ersten Lesung überwiesen wurde.

In der Fraktion der SPD gibt es aber offenbar durchaus Uneinigkeiten in der Bewertung einzelner Artikel. So fürchtet der Abgeordnete Brinksmeier, daß die vage Formulierung des Verhältnisses zwischen den Tarifparteien den Unternehmern ein „uneingeschränktes Aussperrungsrecht“ einräumt. Ein bißchen Marktwirtschaft gebe es eben nicht, antwortete darauf die DA-Abgeordnete und Juristin Brigitta Kögler. Und selbst Brinksmeiers Fraktionskollege Schwanitz will die Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Mittel im Arbeitskampf den Richtern überlassen.

Daß mit diesem Gesetzentwurf zur Verfassungsänderung ein Parlament sich selbst und seine Souveränität ad absurdum führt und sich von Bonn die Buchstaben seiner Verfassung diktieren läßt, war nur einem ein Problem: Wolfgang Ullmann von der Fraktion Bündnis 90. Angewidert von den „Herzensbekenntnissen der Möchtegern-Bundesbürger“ klagt er ein, daß im Gesetzentwurf keines der „drängenden Lebensprobleme“ der Menschen im Land „auch nur von Ferne in den Blick kommt“. Es sei ein Fehler gewesen, meinte Ullmann, die Deutsche Einheit mit der Wirtschafts- und Währungsunion zu beginnen. Er fordert „festen Grund“ für den Weg in die Einheit. Das Parlament hat sich gestern zur Beschleunigung der Schlitterpartie entschlossen.