DDR-Sonderfonds als „solide“ eingeschätzt

■ Andererseits gelten „mäßige Steuererhöhungen“ in den nächsten Jahren als unausweichlich / Bundesländer kamen um höhere Belastungen herum, weil Kohl und Waigel es mit dem Staatsvertrag eilig hatten / Kapitalbedarf erscheint Bankern „nicht furchterregend“

Berlin (ap/dpa/taz) - Die Unterzeichnung des Staatsvertrages heute mittag in Bonn wurde möglich, weil sich Bund und Länder am Mittwoch abend überraschend darauf geeinigt haben, der DDR aus einem Sonderfonds bis Ende 1994 insgesamt 115 Milliarden DM an Finanzhilfe zu zahlen. Der Sonderfonds „deutsche Einheit“ hat eine Laufzeit von viereinhalb Jahren.

Bereits im laufenden Jahr sollen nach den Worten von Bundesfinanzminister Waigel (CSU) aus dem Sonderfonds „Deutsche Einheit“ 22 Milliarden DM zur Verfügung stehen. Für die folgenden Jahre sind Zuschüsse in Höhe von 35 Milliarden (1991), 28 Milliarden (1992), 20 Milliarden (1993) und zehn Milliarden (1994) vorgesehen. Die Gesamtkostenbelastung des Vereinigungsprozesses geht vermutlich darüber hinaus. Der Bund soll nämlich zusätzlich die Anschubfinanzierung für die Sozialsysteme in der DDR übernehmen.

95 Milliarden der Gesamtsumme sollen auf dem Kapitalmarkt geliehen werden, die restlichen 20 Milliarden will der Bund durch Einsparungen erwirtschaften, insbesondere aus der Berlin- und Zonenrandförderung. Der Bundesfinanzminister, der die bisherigen sogenannten Teilungskosten auf 40 Milliarden DM bezifferte, kündigte den vollständigen Abbau dieser Etatposten innerhalb der nächsten sieben Jahre an.

Aus dem Fonds sollen die Defizite der DDR-Haushalte mitfinanziert werden. Dabei ist zunächst vorgesehen, daß die DDR selbst jährlich ein Drittel durch Kreditaufnahme aufbringt. Bund und Länder gehen bisher von einem DDR-Etat -Defizit von 31 Milliarden in der zweiten Jahreshälfte 1990 und von 52 Milliarden im nächsten Jahr aus. Unklar ist noch die Umverteilung der für „die DDR“ ausgewiesenen Summe - die Länderbildung steht noch bevor. Jedenfalls sollen die DDR -Länder erst ab 1994 in die Umrechnungsregularien des Länderfinanzausgleichs - der die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern regelt - einbezogen werden. Begründet wurde dies damit, erst dann sei es möglich, die tatsächliche Wirtschafts- und Finanzkraft der DDR-Länder einigermaßen realistisch zu beurteilen. Ein Fondsgesetz soll festlegen, daß die Finanzbeziehungen zwischen - nach jetzigen Begriffen - Bund und Ländern für die Zeit nach dem 1. Januar 1995 neu geregelt werden.

Erfolg für die Bundesländer

Insbesondere die Ministerpräsidenten der Bundesländer zeigten sich zufrieden über die mit der Bundesregierung ausgehandelten Lösungen. Auf Länderseite war man vor allem deshalb zufrieden, weil die Bundesregierung, insbesondere der Finanzminister, zugunsten der Länder schließlich Finanzierungsregelungen zustimmen mußte, die den Bund eindeutig mehr belasten, als die Bundesregierung dies ursprünglich zugestehen wollte.

Der Grund für Waigels Nachgiebigkeit liegt demnach in dem von der Bundesregierung als notwendig erachteten Tempo, mit dem der Staatsvertrag unter Dach und Fach gebracht werden sollte. Zwar müssen Bund und Länder jeweils zur Hälfte die Zins- und Tilgungslasten der aufzunehmenden Kredite tragen, doch muß in Krisenlagen der Bund für den Finanzausgleich der neuen DDR-Länder sorgen.

An mögliche Krisenlagen oder Zuspitzungen mag indes zur Zeit niemand denken. Die optimistischen Finanzprognosen werden durch die neuesten Zahlen der Steuerschätzungen sogar noch unterstützt. Demnach werden Bund, Länder und Gemeinden im laufenden Jahr über 8,2 Milliarden DM mehr in ihren Haushalten verfügen als bisher verplant wurden. Im nächsten Jahr sollen es aufgrund der guten Konjunktur 28,4 Milliarden mehr sein.

Von diesen Summen profitiert der Bund mit einem Plus von 6,8 Milliarden in diesem Jahr und mit plus 12,5 Milliarden im nächsten. Auch für die Folgejahre werden erhebliche Steuer-Mehreinnahmen erwartet.

Frankfurter Bankerkreise nahmen die Ankündigung des hohen Kapitalbedarfs gelassen hin. Die Beträge seien „nicht furchterregend“, kommentierte ein Banker, sie hätten vermutlich nicht einmal zinstreibende Wirkung. So sieht das auch der Finanzexperte Prof. Walter Hanke, früher Staatssekretär im Finanzministerium von Karl Schiller. Hanke hält die Fondsfinanzierung für seriös, weil die Tilgung auf viele Jahre verteilt ist und deshalb die Last der Anpassung keine Schäden für den Konjunkturverlauf bedeute. Hanke nennt das zwischen Bund und Ländern ausgehandelte Finanzierungsmodell eine „Art Vorfinanzierung späterer Steuerhöhungen“, denn auf die Dauer hält er eine mäßige Anhebung der Mehrwert- oder der Einkommenssteuer für unausweichlich. Entsprechend wird die Äußerung der finanzpolitischen Sprecherin der SPD, Ingrid Matthäus-Meier

-der Sonderfonds sei „unseriöse Schuldenmacherei“ und die Bundesregierung wolle die deutsche Einheit „auf Pump“ finanzieren - eher als parteitaktische Äußerung gewertet.

Einer Finanzierung der deutschen Einheit über Umschichtungen der Haushalte, wie dies u.a. auch von der SPD vorgeschlagen wird, steht hauptsächlich die in der Bundesrepublik praktizierte mittelfristige Finanzplanung entgegen, wonach die Haushalte der Ressorts auf durchschnittlich bis zu fünf Jahren vorstrukturiert werden. Einzig der Verteidigungshaushalt hätte verfügbare Etatposten. Aber darauf müsse man ja, so ein Insider, vielleicht ohnehin zurückkommen, wenn die vorgesehenen 115 Milliarden nicht reichen.

jon