Gnadenlos optimistisch

■ Ein Jahr nach der Flucht aus Wackersdorf verschärft die Atomgemeinde ihre Propaganda

Die nuclear society hat unter dem Druck der Öffentlichkeit wie keine andere Industriebranche gelernt, politisch zu denken und zu handeln. Und sie tut beides skrupel- und bedenkenlos wie sonst nur Politiker wenige Tage vor einer Wahl, die ihnen die Macht kosten könnte. Allererste Pflicht der Politiker in solchen Schlüsselsituationen ist Optimismus, gnadenlos zur Schau gestellter Optimismus. Die Akzeptanz-Kämpfer der Atomzunft sehen das offenbar ganz ähnlich.

Die Inszenierung von Nürnberg ist deswegen nicht zu verwechseln mit einem tatsächlich vollzogenen Aufbruch der Atomlobby in eine neue goldene Zukunft. Dafür gibt es kaum reale Anzeichen. Aber die „Politiker“ unter den Atomikern sind überzeugt, daß die Zeit reif ist für eine neue Propagandaoffensive. Die verlogene Instrumentalisierung der Klimagefahren - man wähnt sich bei Atomkongressen zunehmend auf Meteorologen-Meetings - und die schlimme Energiesituation in der DDR halten sie für ausreichend, um in der Bevölkerung und bei den politischen Entscheidungsträgern die Widerstände gegen die Atomenergie zu relativieren.

Der Erfolg dieser Strategie ist langfristig nicht auszuschließen. Wenn sich die Befürworter der Atomenergie in der DDR durchsetzen, wenn ein, zwei weitere laue Winter über uns kommen, dann werden die Politiker weich. Auf sie vor allem zählt das Positionspapier der Stromkonzerne, das in dieser Form niemand so recht ernst nehmen kann. Ihre Forderungen für bare Münze zu nehmen, das allerdings erwarten vermutlich nicht mal die Autoren. Sie können großzügig Abstriche von ihren Maximalforderungen machen.

Es ist leicht, den Leuten zu erklären, daß Atomkraft gefährlich ist. Aber es ist schwierig und langwierig, ein neues Energiesystem verständlich zu machen, das mehr Treibhausgase einzusparen in der Lage ist als alle AKW -Einbauten zusammen. Wenn das nicht gelingt, bleibt nur das Abwarten - bis zum nächsten Tschernobyl.

Gerd Rosenkranz