Der Geist der Sozialdemokratie

Claudio Iordache, Stellvertreter Iliescus in der „Front zur Rettung der Nation Rumäniens“, über die Partei und ihre Programmatik  ■ I N T E R V I E W

taz: Im ganzen Land hört man Parolen wie „Nieder mit Iliescu, nieder mit der Front“. Immer mehr Menschen - vor allem aber die intellektuelle Opposition - werfen der Front vor, nur die alten Strukturen retten zu wollen.

Iordache: Was sich in den letzten Wochen abgespielt hat, bedrückt mich sehr. Ich bin zwar überzeugt, daß ein großer Teil der Bevölkerung hinter uns steht, es gibt aber eine bestimmte Kategorie von Intellektuellen, die bei dieser Stimmungsmache gegen uns führend sind.

Könnte doch auch sein, daß diese Leute recht haben. Die Transparenz im politischen Leben des Landes war nie groß, auch nach der Revolution nicht. Die Leute glauben, die Front manipuliere den Staat.

Ich möchte erst einmal über die Front der Nationalen Rettung im Kreis Temeswar sprechen und Ihnen erklären, wie die Strukturen hier in Wirklichkeit aussehen. Die Kreisleitung der Front wurde von den Initiativgruppen der Front, die sowohl in Betrieben wie auch in Wohnbezirken wirken, gewählt. Ich bin erst im März zum Vorsitzenden gewählt worden. Ich war niemals Mitglied der Kommunistischen Partei, von 1974 an wurden meine Theaterstücke unterdrückt. Am 21. Dezember wurde ich Mitglied des Revolutionskomitees hier in Temeswar, das damals von der Menge auf dem Opernplatz gewählt wurde. Ich habe also weder mit Ceausescu und dem Kommunismus paktiert, noch vertrete ich die Interessen der Nomenklatura, was uns die Demonstranten ja vorwerfen. Ich finde es aber wichtig, einen neuen, funktionsfähigen Staat aufzubauen, der sozialem Denken verpflichtet ist. Demokratie und soziale Verantwortung schließen sich nicht aus.

Bevor wir zu den programmatischen Aussagen kommen, möchten wir gerne mehr über das organisatorische Gefüge der Front wissen. Wie sind diese Basisgruppen der Front zu beschreiben, wie sieht das Verhältnis dieser Basis zur Führung aus und umgekehrt?

Die Gruppen, die die Front tragen, wurden meist schon während der Revolution gebildet und nicht von oben installiert. Auch heute noch bilden sich Gruppen in manchen Dörfern, die dann einfach in unser Büro kommen und da sagen, wir sind die Gruppe so-und-so in da-und-da. Basta. Doch ist die damalige Front mit der jetzigen auch nicht mehr zu vergleichen. Die Front damals waren alle, die an der Revolution teilgenommen haben, sie war sehr heterogen. Damals waren auch noch so bekannte Oppositionelle wie Doina Coernea und der Pfarrer Lazlo Toekes in der Front. Heute, seit März, ist die Front eine Partei, aus der zwar viele dieser Menschen ausgetreten sind, die aber ihrer Migliederzahl nach sehr stark ist. Ich habe mich für diese neue Partei entschieden und bin hier im Kreis zum Vorsitzenden gewählt worden. Dieses Mandat gilt für ein Jahr, auch das der anderen Gremien übrigens. Doch diese Front, die Partei also, hat keineswegs die Macht in Temeswar übernommen. Die Macht hat der „Provisorische Rat der Nationalen Einheit“, in dem alle Parteien und politischen Strömungen repräsentiert sind. Auch die Front.

Wie erklären Sie sich aber dann, daß die Front mit der Macht identifiziert wird und nicht der Rat. Denn in diesem Rat sind ja auch die größten Konkurrenten, die Bauernpartei und die Liberalen, die jetzt einen heftigen Wahlkampf mit diesem Argument gegen Sie führen.

Bei vielen Leuten ist hängengeblieben, daß die Front die Macht nach der Revolution tatsächlich übernommen hatte. Deshalb ist diese Konfusion aufgetaucht.

Betrifft diese Entmachtung auch das Verhältnis zum Staatssicherheitsapparat?

Die Front hat nichts mit dem Sicherheitsapparat zu tun. Die Reste des Sicherheitsapparates werden von der Regierung kontrolliert und sind der Armee unterstellt.

Welche Befugnisse hat denn der Rat konkret, um die Macht auf Bezirksebene auszuüben?

Der Rat ist verantwortlich für alle Belange des Bezirks, Verwaltung, das wirtschaftliche Leben etc. Er hat auch die Aufsicht über den Wirtschaftsplan. Die Bezirksverwaltung ist weisungsgebunden.

Wenn die Front nicht mehr die Macht hat, warum reagiert dann die Regierung und die Front so heftig auf die Demonstrationen, die am 24. April in Bukarest vor der Universität begonnen haben und inzwischen auch in anderen Städten täglich stattfinden, so zum Beispiel auch in Temeswar?

Ich meine, diese Demonstrationen sind der Ausdruck für die politische Meinungsfreiheit in unserem Lande. Wir haben den Demonstranten mehrmals Gespräche angeboten, doch diese Angebote sind nicht angenommen worden. Wissen Sie, wir fühlen uns als eine Partei der Linken, und sicherlich könnte unser Präsident auch Willy Brandt heißen.

Sie wollen tatsächlich auf eine Sozialdemokratie hinaus?

Wir glauben schon. Es gibt zwar schon drei Sozialdemokratische Parteien in Rumänien, doch die sind von außen importiert. Wenn wir die Wahl gewinnen sollten, könnten aber vielleicht Gespräche mit diesen sozialdemokratischen Gruppen möglich sein. Die haben den Firmennamen, wir aber den Geist für eine solche Partei.

Interview: Erich Rathfelder

Iordache ist auch Vorsitzender der Front zur Nationalen Rettung in Temeswar sowie Chef der Kulturabteilung des Nationalen Rates von Temeswar.