Die Stromversorger suchen die Atomoffensive

■ In einem gemeinsamen Positionspapier formulieren die bundesdeutschen Atomstromer ihre Forderungen nach finanzieller Beteiligung des Staates

Die bundesdeutschen Atomkraftwerksbetreiber suchen die Offensive. In einem Positionspapier, dem nach Form und Inhalt mit Abstand aggressivsten seit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl und dem Hanauer Atomskandal, haben die Stromkonzerne ihre Rahmenbedingungen für eine goldene Zukunft der Atomenergie formuliert. Hermann Krämer, Vorstandschef der PreussenElektra, stellte die „Stellungnahme zur derzeitigen Situation und künftigen Rolle der Kernenergie“ gestern im Namen aller Stromkonzerne der Öffentlichkeit vor.

Als Staffage diente Krämer die in Nürnberg fast vollständig versammelte nuclear community. Die eigentlichen Adressaten des Papiers sind dagegen die staatlichen Behörden. Teils verdeckt, teils offen drohend, wird der Staat an seine Aufgabe erinnert, die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen für ein reibungsloses Wirtschaften der Atomzunft bereitzustellen. Das Positionspapier ist in weiten Passagen ein mit Bedingungen gespickter Forderungskatalog.

Für die Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVUs) steht außer Zweifel, daß bundesdeutsche Atomkraftwerke „auch in Zukunft ohne reale Gefährung für Mensch und Umwelt betrieben werden“ und „Auswirkungen auf die Umgebung hypothetisch sind“.

Im Licht der Klimadiskussion sei ein eher steigender Anteil der Atomenergie an der europäischen und bundesdeutschen Stromerzeugung anzustreben. Insbesondere im Bereich der DDR könne „es sich als notwendig erweisen, eine verstärkte Stromdarbietung auf der Basis westlicher Reaktortechnik ins Auge zu fassen“, heißt es in dem Papier.

Die Stromversorger scheuen sich nicht, die Ladenhüter der frühen und späten achtziger Jahre erneut zu propagieren: Hochtemperaturreaktoren sollen nicht nur Strom, sondern auch Prozeßdampf und Fernwärme „verbrauchernah“ erzeugen, Brennstoffe zum Beispiel zu Methanol umwandeln und Wasser zur Produktion von Wasserstoff spalten. Dafür zahlen soll der Staat - wegen des „breiten Kollektivs künftiger Nutznießer“. Eine Beteiligung der AKW-Betreiber sei nach der Still- legung des THTR-300 in Hamm-Uentrop „den Anteilseignern schwierig zu vermitteln“.

Projekt Euro-Brüter

Auch von der Entwicklung bundesdeutscher und europäischer Brütersysteme wollen die EVUs „bei sehr langfristiger Kernenergienutzung weit ins nächste Jahrhundert“ nicht lassen. Dazu sei es notwendig, „vorlaufend mindestens zwei Generationen von Brutreaktoren mit einer jeweils zehnjährigen Planungs-, Bau- und Betriebszeit realisiert zu haben“. Drei Unternehmen überlegen derzeit, ob sie einer von Bundesforschungsminister Riesenhuber und den Brüterherstellern bereits vereinbarten europäischen Planungskooperation für den Euro-Brüter beitreten sollen. Bedingung: Die SPD-Regierung in NRW rückt „von ihrer nicht hinnehmbaren Untätigkeit“ bei der Genehmigung des Schnellen Brüters in Kalkar ab.

Für die atomare Grundlagenforschung soll der Staat weiter praktisch allein aufkommen. Als „interessant“ werten die EVUs in diesem Zusammenhang insbesondere in den USA verfolgte Konzepte zur Abtrennung und „Verbrennung“ von Plutonium und anderen langlebigen radioaktiven Isotopen (Aktiniden) aus abgebrannten Brennelementen.

Eine knallharte Absage erteilen die Atomstromer allerdings auch der „eigenständigen deutschen Entwicklung zur Wiederaufarbeitungstechnologie“, die von Forschungsminister Riesenhuber trotz der Wackersdorf-Pleite weiterhin favorisiert wird. Diese sei nach der auf lange Zeiträume ausgerichteten Europäisierung der Wiederaufarbeitung „wenig sinnvoll“. An derartigen Weiterentwicklungsprogrammen werde man sich deshalb nicht beteiligen.

Offene Drohung mit

Produktionsauslagerung

Unter Hinweis auf die Wiederaufarbeitungsverträge mit der französischen Cogema und der britischen BNFL wehren sich die AKW-Betreiber gegen den Vorwurf, „die Kernbrennstoffentsorgung der laufenden Kernkraftwerke sei nicht gesichert“. Allerdings bedürfe es „in einzelnen Bereichen der Hilfestellung der staatlichen Seite“. So soll die neue Siemens-Brennelementefabrik für Uran- und Mischoxidelemente in Hanau mit Unterstützung des Bonner Reaktorministers Töpfer „zügig“ genehmigt werden. Letztere enthalten neben Uran Plutonium aus der Wiederaufarbeitung.

Die offene Drohung in Richtung Töpfer - der großen Wert auf eine Möglichkeit zur Plutoniumverwertung in der Bundesrepublik legt - folgt auf dem Fuße: „Kostentreibende Zusatzwünsche könnten aus Wirtschaftlichkeitsgründen zu einer Verlagerung der Fertigung ins europäische Ausland führen.“ Außerdem stehe dann die „vorsorgliche Nichtbearbeitung von Brennelementen“ bei Cogema und BNFL ins Haus, weil auch dort keine Neigung bestehe, die ohnehin rasch wachsenden Plutoniumberge mit ungewissem Ende zwischenzulagern. Insbesondere bei der Realisierung der Endlager Schacht Konrad und Gorleben drängen die Stromkonzerne die zuständigen staatlichen Behörden zur Eile. Die Kosten für die Fertigstellung von Schacht Konrad seien nach „neuesten Hochrechnungen“ von 500 Millionen DM auf einen „mehrfach höheren“ Betrag geschnellt.

Außerdem drohe bei weiterer Verzögerung auch noch eine Umweltverträglichkeitsprüfung. Dann könnten die Zwischenlagerkapazitäten für den für Schacht Konrad vorgesehenen Atommüll „vor der Inbetriebnahme erschöpft“ sein. Auch für Gorleben sehen die Stromherren in ihrem Papier schwarz: „Ohne parteiübergreifenden Konsens“ sei das Endlager „nicht kontinuierlich und zielführend“ zu realisieren.

Schließlich warnen die EVUs davor, das Atomgesetz durch teilweise auch von CDU-Ländern im Bundesrat verlangte Änderungen in ein „Kernenergie-Erschwernisgesetz“ umzuwandeln. Die Bundesregierung wird darüber hinaus gedrängt, atomkritische Ländergenehmigungsbehörden stärker als bisher an die Kandarre zu nehmen, um eine „einheitliche Aufsichtspraxis sicherzustellen“.

Naßforsch geben die EVUs schließlich in ihrem Papier zu erkennen, wohin die Reise „längerfristig“ gehen soll: Unter dem schönen Schlagwort „Stärkung der Eigenverantwortung der Kernkraftwerksbetreiber“ wollen die Atomiker atomrechtliche Genehmigungsverfahren „auf wesentliche sicherheitstechnische Belange konzentriert wissen“.

Mit anderen Worten: Die Branche kontrolliert sich künftig selbst.