BELLA ITALIA

■ Beim ersten Mal ist es immer am schönsten

Der alte Peugeot hatte zwar keine Lichtmaschine (die ging am Abend vorher kaputt), aber drei vollgeladene Batterien ließen uns die Sache beginnen. Bella Italia! Auf nach Südtirol!

So richtig glauben konnte ich das nicht, daß ich so einfach und so plötzlich so richtig selbst nach Italien kommen würde. Aber dann ging es einfach los - Go South!

Autobahn nach Hof, Frühlingssonne, ein freundlicher Grenzer: „Alles offen, fahrt weiter!“ Bayern - so geleckt und sauber; wie Spielzeugstädte trieben die Ortschaften an den Autobahnrändern vorbei, ein irreales Fahren zwischen Schallschutzwänden. Dann München - bloß nicht schlafen. Bilder sausten vorbei und wurden eingesogen. Alles so riesig, hell und unpersönlich. Inntal, der große Drogenumschlagplatz Kufstein, Innsbruck. Surrealistisch rot -blinkende, das Auto förmlich einsaugende Maut-Stellen. Europabrücke, dann am Brenner ein italienischer Soldat wie aus dem Bilderbuch, aus dem zigmal gesehenen italienischen Film. Bolzano/Bozen, das verrückte Eggental und dann waren wir da, in Carezza unterhalb von König Laurins Reich im Rosengarten. Immer wieder tauchte dieses Gefühl auf: „Das ist ein Film, gleich wachst du auf.“

Und es war auch gleich selbstverständlich dort zu sein. Diese eigenartige DDR-Mentalität, dieses Gefühl, daß man von jener Welt eigentlich ausgesperrt ist, verflog. Das ist dann Europa, so kann es sein, grenzenlos. Du bis nur du, und deine Freunde sind da, aus Österreich, der BRD, der DDR. Tolle Tage folgten. Viel mehr Kommerz hatte ich befürchtet, aber auch die Kunstschneeskianlagen „Superski Dolomiti“ fügten sich harmonisch ins Landschaftsbild (die Reiseredaktion ist hier anderer Meinung). Auch sie gehörten einfach dorthin, die vielen Lifte, die knallbunt gestylten, braungebrannten Skifahrer unterm tiefblauen Himmel, unter dem sich Gleitschirme, Drachenflieger tummeln. Wie wenig wissen wir, ahnen zwar und bestaunen die Freiheit des Drachenfliegens, aber wußten nichts von den vermehrt sich zu Tode stürzenden jungen Gemsen auf wilder Flucht vor den „Riesenadlern“.

Herrliche Abende am Kamin, wenn wir alle um die große Europakarte geschart, von den Reisen schwärmten. Da konnten wir Exotisches berichten aus Siebenbürgen, dem Fagarasch, der Slowakei, Lebas Wanderdünen. Und wir träumten konkret: Radtouren durch die Toskana, in die Bretagne, ins Rhone -Tal...Es war klar, mit unserem gewohnten, spartanischen Rucksackurlaubsstil ist jetzt (fast) alles erreichbar.

Dann die Fahrt zum Lago di Garda. Da roch man den Süden in lauer Frühlingsluft, Palmen, Rhododendron. Überall die vertrauten Bilder aus den Fellini-Filmen, den Ansichtskarten. Den Capuccino draußen trinken...

Wir mußten viel erzählen. Wie war das eigentlich so in der DDR? Wie haben wir es ausgehalten? Warum sind wir nicht gegangen? Und dann bekamen wir Heimweh, wollten es uns fast nicht eingestehen, Heimweh nach diesem Land.

Und nachts in Helmstedt, nach Regen und Sturm auf endlosen Autobahnen war dann auch das Gefühl da, zu Hause anzukommen. Welch ein Unterschied zu allen vorherigen Auslandsfahrten, als wir aus der Freiheit der Berge im dunstig-grauen, trüben, oft regnerischen Bad Schandau ankamen mit den mißtrauischen, schlecht gelaunten Grenzern und wieder hinein mußten in den ummauerten Alltag. Egal von wo man kam, immer kam dieses deprimierende Gefühl auf bei der Ankunft in „unserer DDR“.

„Deutschland“ ist nicht der Nabel der Welt, ja überhaupt, ist es „unser“ Land? Bella Italia! Es hat jetzt konkrete Anziehungskraft! Und: beim ersten Mal ist es immer am schönsten...

Detlev Rösler