: Schon der Verdacht des Milieukontakts reicht
■ Polizei sammelt Prostituiertendaten / In einer „Milieukartei“ der Berliner Kripo sind zur Zeit 7.780 Personen - darunter auch Prostituierte - gespeichert / Diese Datensammlung hat keine Rechtsgrundlage / Neues Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz steht noch immer aus
West-Berlin. Wenn die Polizei in Aktion tritt, dann tut sie das gründlich. Zur Zeit hat die Berliner Kripo in einer besonderen „Milieukartei“ die Daten von 7.780 Personen darunter auch die von Prostituierten - gespeichert. Bei einer kleinen Anfrage bestätigte Innensenator Pätzold im Oktober letzten Jahres, daß diese Kartei existiert und schon seit den 50er Jahren geführt wird.
Es sei unnötig und rechtswidrig, Namen und Daten von Prostituierten in einer Kartei zu speichern, ohne daß ein konkretes Ermittlungsverfahren vorliege, kritisiert der Berliner Datenschutzbeauftragte, Hansjürgen Garstka. Bei der Berliner Kripo aber heißt es auf Nachfrage, welche Rechtsgrundlage es für eine Prostituierten- und Zuhälterkartei gebe, nur knapp: „Es gibt keine Prostituierten- und Zuhälter-Kartei, sondern wir führen eine Milieu-Kartei, und die Rechtsgrundlage ist ausreichend.“
Nun haben die Richter des Bundesverfassungsgerichts schon 1983 in dem Volkszählungsurteil eine Normenklarheit gefordert und entschieden, daß jede Speicherung von personenbezogenen Daten eine Rechtsgrundlage haben muß. Der Bürger/die Bürgerin muß wissen, wer was zu welchem Zweck erhebt. Die Berliner Polizei bewegt sich in punkto Prostituierten-Kartei nicht nur nach Auffassung des Berliner Datenschutzbeauftragten rechtlich auf sehr dünnem Eis.
Zwei Legislaturperioden, die als „Übergangsbonus“ für eine neue gesetzliche Regelung zugestanden wurden, sind mittlerweile abgelaufen. „Datenerhebungen, die diesem Prinzip widersprechen, müssen unterlassen, und bestehende Datensammlungen müssen bereinigt werden“, fordert Garstka. Ein Gesetzentwurf für ein neues Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) sei in Arbeit, vertröstet der Pressesprecher des Innensenators.
Ein Gerichtsverfahren brachte den Stein ins Rollen. Eine Frau war wegen Zuhälterei angeklagt worden, weil sie Prostituierten telefonisch Hausbesuche bei Freiern vermittelt habe. Im Zuge der Ermittlungen wurde ihre Adreßbuch beschlagnahmt. Daraus pickte sich die Polizei 3 Zeuginnen heraus. Was zuerst als Zufall schien, entpuppte sich als gezielte Aktion. Bei der Vernehmung wurde klar: alle 3 Zeuginnen hatten ehemals als Prostituierte gearbeitet. Eine Zeugin hatte bereits vor 10 Jahren damit aufgehört. Woher wußte die Polizei aber von der Vergangenheit der Zeuginnen? Der Beamte gab unumwunden zu, die Kripo habe eine Kartei. Offensichtlich hatte ein Abgleich von Adreßbuch und Kartei stattgefunden.
Diese sogenannten „Arbeitskarteien“, die die Polizei für verschiedene Ermittlungsverfahren führt, sind kein Geheimnis. In der Prostituierten-Kartei aber seien Namen und Daten von Personen gespeichert, die nicht in den Verdacht geraten seien, eine Straftat begangen zu haben. Es werde lediglich angenommen, sie hätten Kontakt zu Leuten, die Straftaten begehen, sie würden sich in einem kriminellen Milieu aufhalten, kritisiert Rechtsanwältin Margarete von Galen. „Prostitution ist kein Straftatbestand.“
Das Gesetz regelt nur, daß die Kriminalpolizei im Zuge von Ermittlungen Karteien von Personen anlegen kann, die verdächtigt sind, eine Straftat begangen zu haben. Die Speicherung muß sich auf einen begrenzten Zeitraum beziehen. Sind die Ermittlungen abgeschlossen, müssen die Namen gelöscht werden, so der Berliner Datenschutzbeauftragte. Die Polizei begründet dies damit, daß Prostitution zum Bereich der organisierten Kriminalität gehöre und weitgehend in „mafiosen“ Strukturen organisiert sei. Das Milieu werde geprägt von Straftaten wie Zuhälterei, Menschenhandel, Förderung der Prostitution und der damit einhergehenden Begleitkriminalität, bei der es sich vorwiegend um Vergewaltigung, Raub, Nötigung und Körperverletzung zum Nachteil der Prostituierten handle. Die Sammelwut der Polizei sei einfach haarsträubend, kritisiert Helga Bilitewski von der Prostituierten-Selbsthilfegruppe HYDRA. „Da müßten sie alle Frauen Berlins in einer Kartei registrieren.“ Alle Frauen seien potentielle Opfer von Vergewaltigung und damit potentielle Zeuginnen. Und diese Datensammlung könne der Polizei letztendlich auch nicht helfen, Straftaten im Milieu aufzuklären. Denn wenn Prostituierte keine Aussage machen wollen, dann hilft auch keine Kartei. Um in dieser Kartei aufgenommen zu werden, reiche allein der Verdacht der Prostitution. Mit Razzien bringe die Kripo die Kartei immer wieder auf den neuesten Stand. „Offensichtlich liebt auch die Kripo das Milieu“, sagt Helga Bilitewski.
„Wir wissen, daß Frauen registiert sind, die gar nicht als Prostituierte arbeiten, sondern lediglich die Wohnung gemietet haben, in der Prostituierte arbeiten“, so Claudia von HYDRA. „Fast alle Frauen, die wir kennen, sind in dieser Kartei gespeichert. Wir fordern, daß diese Kartei vernichtet wird.“
Michaela Eck
HYDRA hat eine Veranstaltung zu diesem Thema organisiert. Zeit: Montag, den 21.5. um 20.00 Uhr. Ort: SCHWUZ, Hasenheide 54, 1/61. Geladen sind der Berliner Datenschutzbeauftragte, ein Vertreter der Kripo, die AL -Abgeordnete Lena Schraut und Rechtsanwältin Margarete von Galen.
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