Rot-grüner Streit in Schöneberg ums „Verdichten“

■ Die Alternative Liste alarmiert Anwohner am Schöneberger Mühlenberg gegen die Neubaupläne der SPD und der bezirklichen Bauverwaltung / Die SPD schießt zurück und wirft der AL „Zynismus“ vor / AL: In Ost-Berlin ist mehr Platz als in Schöneberg

Schöneberg. Das gute Dutzend weißhaariger Damen klatscht Beifall, sehr zum Mißfallen des Vorsitzenden der Schöneberger BVV, als die AL-Vertreterin für sie Partei ergreift. Der Zuschauerraum ist voll von ihnen. Es sind Anwohnerinnen vom Mühlenberg, einer Sechziger-Jahre-Siedlung hinter dem Rathaus. Dort will das SPD-geführte Schöneberger Bauamt „verdichten“, sprich etwa hundert Wohnungen von der landeseigenen WIR - Ex-Neue-Heimat - zusätzlich neu bauen lassen. Und deshalb herrscht seit Wochen dicke Luft zwischen AL und SPD. Denn die AL ist dagegen. Die Siedlung sei so angelegt, um Licht, Luft und Sonne zu den Bewohnern zu lassen, sagt AL-Vertreterin Ziemer. Hohe Bäume stehen in den Höfen, dazwischen eine Seniorenfreizeitstätte für die inzwischen meist älteren - Bewohner. Dies alles müßte weichen, sagt die AL. „Denken Sie an die vielen Wohnungssuchenden, das sind keine Statistiken, das sind menschliche Schicksale“, beschwört Baustadtrat Saager (SPD) die aufgebrachten Besucherinnen der BVV. Giftiger wird der Fraktionsvorsitzende Leske (SPD). Wegen der populistischen Haltung der AL sei im letzten Jahr keine einzige Wohnung entstanden, die AL lehne jeden Neubau in der Innenstadt ab das sei zynisch.

Aufgebracht sind die Sozis weniger wegen der politischen Haltung der AL. Ärger gibt es vielmehr deswegen, weil einige der Alternativen vor Wochen Flugblätter am Mühlenberg steckten und die Anwohner zum Hochbauausschuß einluden. Fast hundert aufgebrachte Menschen drängelten sich daraufhin zwischen verschüchterten Architekten und verschreckten Bezirksverordneten und machten, so Hans Leske, jede sachliche Diskussion unmöglich. Es werde schließlich, meint Saager, später das vorgeschriebene Bebauungsplanverfahren samt vorgeschriebener Bürgerbeteiligung geben, das reiche. Neubau müsse sein, das habe die rot-grüne Koalition auf Landesebene beschlossen, da dürfe die Bezirks-AL sich jetzt nicht widersetzen.

„Wir sind nicht gegen Neubau, und stimmen nicht gegen jedes Projekt, aber das, was das Bezirksamt am Mühlenberg plant, ist die Elendssituation des 19. Jahrhunderts“, sagt Elisabeth Ziemer. Sie schlägt etwas anderes vor: man solle in Ost-Berlin bauen. Dort lebten auf einem Quadratkilometer 3.225 Menschen, hier seien es 4.375, drüben seien 50 Prozent des Stadtgebietes bebaut, im Westteil aber 60 Prozent. „Unseriös“, heißt es bei der SPD.

Der Antrag der AL, die Neubaupläne abzulehnen, wenn die Anwohnerinnen „nach Prüfung aller Möglichkeiten“ dagegen sind, wird abgelehnt, auch mit den Stimmen der CDU, die bislang, genüßlich zurückgelehnt, den rot-grünen Familienkrach verfolgt hat. Die alten Damen verlassen empört die BVV. „Wir sind auch das Volk“, sagt eine schüchtern.

esch