„...da sieht der einfache Arbeiter nicht durch“

■ taz-Umfrage zum Staatsvertrag im VEB Elektrokohle Lichtenberg / Verunsicherung der Arbeiter überwiegt / Angst um Altersversorgung und die Sicherheit der Arbeitsplätze in dem überalterten Betrieb stehen im Vordergrund

Lichtenberg. Der VEB Elektrokohle Lichtenberg (EKL) ist einer der Betriebe, dessen Produktionsanlagen teilweise noch aus den 20er Jahren stammen. In vielen Bereichen dominiert schwere körperliche Arbeit, und trotz teilweise eingebauter Filteranlagen ist das Werk nach wie vor eine Dreckschleuder ersten Ranges. Man muß kein Prophet sein, um vorauszusagen, daß nach Einführung der D-Mark auch dessen Tage gezählt sein werden. Die taz befragte einige Elektroköhler nach ihrer Meinung zum Staatsvertrag.

Wolfgang Albrecht, 47 Jahre, Kranfahrer: „Viele Dinge, die mich interessieren, fehlen. Was wird zum Beispiel aus unserem Betrieb? Die meisten von uns sind schon zwanzig Jahre dabei - wenn wir mal rausfliegen, nimmt uns doch keiner mehr. Mich stört auch, daß der Staatsvertrag von bundesdeutschen Politikern ausgearbeitet worden ist.“ Ofenwärter Siegfried Hähnel (55) glaubt, daß es bei einer langsameren Gangart zu Unruhen in der Bevölkerung gekommen wäre: „Schon vor der Volkskammerwahl sind die Leute ja von Kohl und der CDU so heiß auf die D-Mark gemacht worden, daß man es gar nicht weiter hätte hinausschieben können. Das hätte sonst wieder eine Revolution gegeben, aber diesmal wär die sicher nicht so friedlich verlaufen.“ Gedanken um seine Altersversorgung macht sich dagegen Jochen Ludewig (51), ebenfalls Ofenwärter: „Kann mir mal einer sagen, was aus unserer Zusatzrentenversicherung wird? Überhaupt - das ist doch alles in einem unmöglichen Beamtendeutsch geschrieben, da sieht doch der einfache Arbeiter gar nicht durch.“ Ein Kollege (45), der seinen Namen nicht nennen wollte, winkt ab: „Die Herren Politiker machen doch sowieso, was sie wollen. Das war früher so, und heute ist es auch nicht anders.“ Unzufrieden mit der Eile ist Maschinenanlagenfahrerin Natascha Breselow (20): „Zuerst hätte die Wirtschaft wieder auf Vordermann gebracht werden müssen. Jetzt werden wohl eine Menge sozialer Dinge abgeschafft werden. Eigentlich ist das Irrsinn!“ Fast zum Streit kommt es bei den Tischlern des Betriebes. Für Ekkehard Schüler (50) hat die Regierung das Optimale erreicht: „So, wie unsere Betriebe aussehen, konnte man überhaupt nicht mehr erwarten.“ Heinz Fach (58) meint hingegen: „Das ist doch alles Quatsch! Ich bin gegen diesen Staatsvertrag, die ganze Umtauschsache und die Kürzung der Sparguthaben.“ Herbert Henne (61) ist ein wenig enttäuscht: „Eigentlich fühl‘ ich mich noch ganz gesund und würde gerne noch ein paar Jahre weiterarbeiten. Wie es aussieht, werde ich jetzt aber doch in den Vorruhestand gehen müssen. Gut, daß wenigstens die Älteren etwas mehr 1:1 umtauschen können.“

Interview: Olaf Kampmann