„...und wer schützt uns?“

■ Splitter aus dem Alltag einer Stadt, die erstmals mit Flüchtlingen und Touristen ohne Geld zu tun hat

Wo früher die Staatsicherheit saß, haben gestern nacht 50 Rumänen geschlafen: Seit zwei Tagen gibt es im idyllischen Hessenwinkel, einem zwischen Rahnsdorf und Wilhelmshagen gelegenen Villenvorort mit 900 Einwohnern, ein neues „Auffanglager“ (“...oder wie würden Sie das hier nennen?“ fragt der „Diensthabende“ die Westlerin). Weit draußen hinter dem Müggelsee und garantiert Lichtjahre vom Stadtzentrum, in dessen Bild diese Art von Touristen ja stören könnte, entfernt. Bis Anfang des Jahres wachte hier noch die für Personen- und Objektschutz, fürs Eingreifen bei inneren Unruhen sowie zur Absicherung bei Staatsakten und Empfängen ausgebildete und dem Ministerium für Staatssicherheit unterstellte Elitetruppe „Wachregiment Feliks Edmundowitsch Dzierzynksi“ über das Wohl des Sozialismus. Bis die allgemeine Lage, vertreten durch den Bürgerrat Hessenwinkel, die inneren Frontkämpfer hinwegfegte, das „Objekt“ auflöste und den einen oder anderen Glasbruch verursachte. Jetzt, wo die Rumänen da sind, wird auch der Bürgerrat wieder aktiv. „Da hätten wir ja alles umsonst aufgelöst und ständen genauso da wie vorher, wenn wir da jetzt die Rumänen hätten“, sagt ein Mitglied des Hessenwinkler Volkes, das sich nun seit ein paar Tagen auch wieder im Aufstehen übt und demonstrierend vor das Kasernentor zieht. Schließlich hatte man in Hessenwinkel Besseres mit dem Objektschützer-Objekt vor: eine von Bürgern frisch gegründete GmbH will auf dem weitläufigen Gelände ein „Dienstleistungszentrum“ sehen. Aber natürlich nicht mit solcher Art Service am Mit-Ex -Sozialisten. Zumal man jetzt ja „die Kinder nicht mehr rauslassen kann“. Und überhaupt: „Die Polizei bewacht das Objekt, und wer bewacht uns vor den Rumänen?“

„Weil es hier so schön ist“, wohnt ein junger Rumäne schon seit zwei Monaten auf dem Bahnhof Lichtenberg. Eigentlich wollte der Automechaniker hier arbeiten, fand aber nichts. Jetzt sitzt er mit einer großen Trommel vor den Schließfächern, macht mit anderen zusammen Musik und singt. Seine Frau hat hier ein Kind geboren. Er macht einen glücklichen Eindruck.

Ohne polizeiliche Anmeldung läuft nichts: Die Ankömmlinge in Hessenwinkel müssen einen „Meldeschein der Beherbergungsstätte“ ausfüllen. Die diensttuende Schutzpolizei hat sich vorbereitet und auf den Vordrucken das Emblem des „Hotels Müggelsee“ durchgestrichen und durch „NVA“ ersetzt.

Zusätzliche Schließfächer, in denen die nächtlichen Gäste auch tags ihre Sachen lassen können, sind jetzt auf dem Bahnhof Lichtenberg aufgestellt worden, um solche entscheidenden Kleinigkeiten kümmert sich die schwer geforderte „Reisevekehrsaufsicht“, ein Mann, den „das alles hier aber auch persönlich wirklich interessiert.“

grr