: Karel Capek
■ Ein Porträt des tschechoslowakischen Autors und eine Einladung, seine Bücher zu lesen
Capek, Capek...so aus dem Stegreif wissen zumeist nur Science-Ficiton Fans etwas mit dem Namen anzufangen. Kennern des Genres tritt dann sogleich ein Leuchten in die Augen, Titel wie Der Krieg mit den Molchen oderKratakit gehören mittlerweile zu den Klassikern der nicht -amerikanischen utopischen Literatur. Dabei war Karel Capek alles andere als ein skurriler Phantast aus Böhmen, einem Landstrich im Herzen Europas, der im 20.Jahrhundert mit so begnadeten Erzählern und Fabulierern wie Jaroslav Hasek, Franz Kafka, Leo Perutz und in jüngerer Zeit Bohumil Hrabal, Pavel Kohout oder Milan Kundera gesegnet ist, ganz gleich ob da deutsch oder tschechisch geschrieben wird.
Karel Capek, der am 9.Januar 1890 in Male Svatonovice als Sohn eines Landarztes zur Welt kam, war vor dem Zweiten Weltktieg ein weit über die Grenzen der jungen tschechoslowakischen Republik populärer Theaterautor, Schriftsteller und Journalist. Zusammen mit seinem älteren Bruder, dem Schriftsteller und Maler Josef Capek, ging er gar als Schöpfer des Neologismus „Roboter“ in die Sprachgeschichte ein. In ihrem „utopischen Kollektivdrama“ R.U.R. - Rossum's Universal Roboter leiteten die Capek -Brüder die Bezeichnung für die humanoiden Arbeitsmaschinen von dem tschechischen Verb robota (etwa: schlurfen, sich placken, Frondienste leisten) ab.
In rund 50 Büchern, neben den Romanen und Bühnenstücken verfaßte er Kurzgeschichten, Essays, Reisebeschreibungen, Alltagsbetrachtungen, Tiergeschichten und politische Zeitungsartikel, schrieb er gegen die inhumanen Auswirkungen der modernen Massengesellschaft an, gegen Militarismus und Faschismus, gegen Rüstungswahn und Intoleranz, gegen die unkontrollierbare, rein kapitalistisch orientierte Industrie und Technologie. Doch Capek sah die Rettung nicht in der revolutionären Organisation der Arbeiter; die proletarischen Massen waren ihm, dem Kind aus bürgerlichem Haus, ebenso suspekt wie die anonyme Macht der Industriebarone und Militärs.
Der junge Capek studierte Philosophie, Ästhetik und Bildende Kunst in Prag, Paris und Berlin; 1915 Promotion in Philosophie. Vor dem Ersten Weltkrieg gehört er mit dem Bruder der „kubofuturistischen Gruppe“ um den Literaten Stanislav Kostka Neumann an; die Gebrüder Capek veröffentlichen gemeinsam Prosa (Der Riesengebirgsgarten und Strahlende Abgründe, 1916) und Theaterstücke, von Karel erscheint 1917 ein erster Novellenband, Die Gottesmarter.
Capek arbeitet seit 1921 als Redakteur bei der Tageszeitung 'Lidove Noviny‘, für die er bis zu seinem frühen Tod, Ende 1938, schreibt. Der überzeugte Demokrat und glühende Verteidiger der nach dem Zerfall der österreichisch -ungarischen Donaumonarchie geschaffenen Tschechischen Republik engagierte sich mit Nachdruck für die Politik von Tomas Garrigue Masaryk, des Philosophen, der zum ersten Staatspräsidenten der Tschechoslowakei ernannt worden war. Capek untersützte nicht nur den Präsidenten in Zeitungsartikeln und Essays, er setzte sich auch mit der Philosophie Masaryks, einer Mixtur aus Relativismus und pragmatischem Positivismus auseinander. Nicht zuletzt aufgrund seiner Sympathie für den greisen Landesvater setzte die kommunistische Regierung Capeks Werke nach 1948 auf die Verbotsliste. Erst in den fünfziger Jahren wurde Capek im Ostblock wieder gedruckt; die marxistische Literaturwissenschaft unternahm so manche Verrenkung, um den bürgerlichen Demokraten auf das Prokrustesbett des Materialismus zu zwängen, was allerdings nicht so recht gelingen wollte.
Capeks Porträt des großen alten Mannes der jungen Tschechoslowakei, dieGespräche mit T.G.Masaryk, zunächst in drei Teilen und 1936 gesammelt erschienen (eine deutsche Übersetzung lag noch im selben Jahr vor), wird erst in diesen Tagen in der neuen, der zweiten Republik der Tschechen und Slowaken wieder erhältlich sein.
Unter dem Einfluß der Masarykschen Philosophie versucht sich Capek in den späten zwanziger und frühen dreißiger Jahren verstärkt als volkstümlicher Schriftsteller, was sich vor allem in seiner Kurzprosa niederschlägt. So verfaßt er Geschichten und Geschichtchen aus dem Alltagsleben, humoristische bis kauzige Schnurren, deren „typisch böhmische“ Vertracktheit sich nicht hinter Haseks Schweijkiaden oder Jan Nerudas Kleinseitner Geschichten verstecken muß. Titel wie Von einer Tasche in die andere. Anti-Detektivgeschichten, Das Jahr des Gärtners und Meine Hunde, meine Katzen sind da durchaus Programm. Immer noch unter der Prämisse, philosophisches Gedankengut in verständliche Worte und lesbare, lebenspralle Geschichten zu verpacken, entsteht in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre die „noetische Trilogie“, ein Romanwerk, das sich mit dem relativen Wert von Erkenntnis und dem Gegensatz zwischen der Vielfalt an Möglichkeiten und den jeweils manifesten Erscheinungsbildern auseinandersetzte. In Hordubal, vordergründig ein Heimkehrerabenteuer und ländlicher Kriminalroman, geht es um die fein verästelten Beziehungsgeflechte, die zu einem Mord geführt haben, und um die kalten Fakten, die die Beteiligten anschließend, vor Gericht, zwangsläufig zu schablonierten Opfern und Tätern, naiven, gierigen, kalt berechnenden Unmenschen machen. In seinem Nachwort schreibt der Autor: „Die Erzählung von Hordubal endet mit einem eklatanten Unrecht und mit einer Frage ohne Antwort; sie versinkt in Umgereimtheiten, wo der Leser erwartet, in Ruhe gelassen zu werden. Was also ist die wirkliche Wahrheit von Hordubal und Polana, was die Wahrheit von Manya? Was, wenn die Wahrheit etwas Weiträumiges ist, das all diese Deutungen zusammenfaßt und noch über sie hinausgeht?“
Die beiden anderen Romane der Trilogie, Meteor und Das gewöhnlich Leben, variieren den erkenntnistheoretischen Ansatz Capeks, wobei er auf der erzähltechnischen Ebene sehr versiert und auf der Höhe der Zeit mit den Mitteln des modernen Romans hantiert: in Meteor setzt sich die mögliche Wahrheit, die Lebensgeschichte eines vom Himmel gefallenen, absolut kommunikationsunfähigen Piloten mosaikartig aus den Meinungen, Phantasien, Wünschen und Projektionen der ihn betreuenden Figuren zusammen; Das gewöhnliche Leben, das ein pensionierter Eisenbahner im inneren Monolog noch einmal an sich vorüberströmen läßt, wird als phantastischer Karneval der Gelegenheiten begriffen.
Wie allen wirklich guten und wichtigen SF-Autoren geht es Karel Capek natürlich immer um das Hier und Jetzt, um kritikwürdige Zustände und besorgniserregende Entwicklungen. Der Zeitgenosse von Aldous Huxley und H.G.Wells wußte wie kaum ein zweiter, sich der Muster der populären Literatur zu bedienen, um seine ernsten, teilweise bitterbösen Stoffe „unters Volk“ zu bringen. InKrakatit (1924) beispielsweise gibt es einen romantischen Helden, den Erfinder Prokop, der nicht nur auf geradezu psychedelische Weise durch die Welt der entfesselten Technologie taumelt, sondern zugleich detektivische, erotische und märchenhafte Abenteuer zu bestehen hat. Zwanzig Jahre vor der Entwicklung der ersten Atombombe erzählt Capek die Geschichte vom naiven Wissenschaftler, der auf der Basis von „Atomzerstückelung“ einen supereffektiven Sprengstoff, eben Krakatit, entwickelt hat, und der dieses Höllenzeugs leichtfertig in die Hände von Industriellen und Politikern gibt. Am Ende kommt die Menschheit gerade noch einmal so davon, der physisch und psychisch gemarterte Erfinder hat seine Lektion gelernt.
Auch sein Kollege, der Ingenieur Marek, verkauft eine bahnbrechende Erfindung, den Karburator, an einen Großindustriellen, Herrn G.H.Bondy, ohne daß sich einer der beiden groß Gedanken um mögliche Nebeneffekte machte. Kurz darauf kommt es zu religiös-chaotischen Entwicklungen, wenn in Abertausenden von Heimkarburatoren simple Materie zwecks Energiegewinnung zerlegt, vernichtet wird, und dabei, sozusagen als Nebenprodukt, die göttliche Komponente aller Stoffe, das „Absolutum“ freigesetzt wird. Das Absolutum oder Die Gottesfabrik (1922) ist nicht unbedingt Capeks bester, aber sicherlich sein wahnwitzigster Roman, der seine schrille Anfangsidee bis in die groteskesten Höhen und Tiefen treibt.
Zu Capeks Meisterwerken gehört unbestritten Der Krieg mit den Molchen, der im Jahre 1936 veröffentlicht wird. Das phantastisch-utopische Untergangsszenario wendet sich unverhohlen gegen den bereits in Blüte stehenden Faschismus und prangert die unheilige Allianz von Großindustrie, Militarismus und Scheuklappennationalismus mit verzweifeltem Galgenhumor an. Capek, der 1935 seine langjährige Freundin Eva Scheinpflugova geheiratet hat, sieht sich schon seit einigen Jahren den Anfeindungen der reaktionären Presse ausgesetzt. Gleich 1933 gehört er zu den Gründungsmitgliedern des „Hilfskomitees für Emigranten aus Deutschland“, 1934 unterstützt er eine Ausstellung antifaschistischer Karikaturen in Prag und tritt als Mitinitiator des „Manifestes tschechischer Schriftsteller gegen den Faschismus“ an die Öffentlichkeit.
Ganz harmlos und niedlich treten die Molche in die Geschichte der Menschheit ein. Doch schon bald wird aus der unbedeutenden, rein wissenschaftlich interessanten Kolonie halbintelligenter Molche, die ein tschechischer Kapitän in der Südsee entdeckt, unter der geschäftstüchtigen Fuchtel des Industriellen G.H.Bondy ein unübersehbares Heer an billigen Arbeitskräften, das an allen Küstenstrichen der Welt Befestigungs- und Landgewinnungsarbeiten verrichtet. Die ersten Zeichen der drohenden Katastrophe werden von den europäischen Nationen aus Engstirnigkeit und gegenseitigem Mißtrauen fehlinterpretiert, ja, die Molche dienen ihnen sogar als zusätzliche Kampftruppen. Der in deutschen Gewässern gezüchtete Nord- und Edelmolch, der sich angeblich durch einen schmaleren Schädel und hellere Haut auszeichnet, stellt schon bald eine schlagkräftige Armee, „die heute fünf Millionen berufsmäßige Kampfsalamander zählt und sofort in einem Krieg zu Wasser und an der Küste eingesetzt werden kann“. Aber die Molche geraten rasch außer Kontrolle und sagen der gesamten Menschheit den Krieg an. Der natürliche Lebensraum der Molche ist die Küste, und das heißt für die Menschheit: ziemlich viel Land unter. Als der „Chief -Salamander“ über den Rundfunk mit schnarrender Stimme seine irrwitzigen Forderungen verkündet, ist es bereits zu spät. Auch der Kleinbürger Povondra, der die Sache mit den Molchen von Anfang an verfolgt und per Zeitungsartikel archiviert hat, muß am Ende einsehen, daß selbst sein behütetes Prag, das ja über keinerlei Meeresküste verfügt, von den Molchen nicht verschont bleiben wird. Bei einer Angelpartie sieht er, wie sich der erste Molchkopf aus den Wellen der Moldau erhebt.
Im September 1938 verhandeln die Regierungschefs von England, Frankreich und Italien in München mit Hitler das Schicksal der Tschechoslowakei. Das Münchner Abkommen billigt Deutschland zu, in das Sudentenland, also nach Böhmen einzumarschieren. Im Oktober war es dann soweit. „Die Welt, an die ich geglaubt habe, ist zerbrochen“, sagt Karel Capek. Er stirbt am 25.Dezember 1938 in Prag an einer Lungenentzündung, oder wie Darko Suvion schreibt, „an mangelndem Lebenswillen - wenn man will, an gebrochenem Herzen“.
Capeks letztes Bühnenstück, Die Mutter, wurde noch im Februar 1938 in Prag uraufgeführt, den Roman Leben und Werk des Komponisten Foltyn, einen Doktor Faustus-Stoff, konnte er nicht mehr zu Ende bringen. Im März 1939 marschieren die deutschen Truppen in Prag ein. Karel Capeks Bruder Josef stirbt 1945 auf dem Rückweg aus dem Konzentrationslager Bergen-Belsen.
Gerald Jung
Taschenbücher: Von einer Tasche in die andere. Anti -Detektivgeschichten (Fischer); Das Jahr des Gärtners (Fischer); Wie ein Theaterstück entsteht (Fischer); Das Absolutum oder Die Gottesfabrik (Suhrkamp); Krakatit (Ullstein und Heyne); Hordubal/ Der Meteor/ Ein ungewöhnliches Leben (Aufbau-Verlag, DDR); Der Krieg mit den Molchen (Diogenes und Heyne)
Gebundene Ausgaben: Hordubal (Klett-Cotta); Krakatit (Zsolnay); Von einer Tasche in die andere (Zsolnay). Eine elfbändige Werkausgabe, beginnend mit den „Gesprächen mit T.G.Masaryk“ erscheint ab Mai 1990 im Sachon-Verlag, Mindelheim. Eine Biographie Karel Capeks liegt im Reclam -Verlag (DDR) vor, verfaßt vom Capek-Übersetzer Eckhard Thiele.
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