Böse Buben

■ Mit Elmore Leonard, einem der erfolgreichsten amerikanischen Krimiautoren, sprach Günther Grosser

Hagerer Großvater mit dezent-moderner Hornbrille, grauem Fusselbart, Schlips auf unauffällig gestreiftem Hemd, Freizeitanzug, Mentholzigaretten: Elmore Leonard. Seit zwanzig Jahren schreibt er und hat es damit inzwischen zum Millionär gebracht, was ihm allerdings so ziemlich piepegal ist, sitzt er doch immer noch jeden Tag seine Stunden am Schreibtisch ab und werkelt mit der Akribie eines Feinmechanikers am Kosmos Verbrechen.

„Jeden Tag von halb zehn bis sechs Uhr, heutzutage allerdings mit vielen Unterbrechungen. Es fällt mir schwerer, und ich schreibe jetzt auch nicht mehr so viele Seiten wie früher. Früher schrieb ich fünf bis sechs Seiten pro Tag. Heute sind es eher vier, und ich bin nicht mehr so schnell zufriedenzustellen.“

Wer es damit so weit gebracht hat, daß er für die American -Express-Promiwerbung in Frage kommt, kann sich natürlich entsprechend rar machen, und es kostete mich zig Telefongespräche, bis Leonards Verlagsagentin einzusehen begann, daß es mir ernst war mit einem Interview, denn sprechen wollte ich ihn unbedingt, jenen Schriftsteller, der mich bei 18 Kriminalromanen nur ein einziges Mal enttäuscht hat, und auch das vielleicht nur deshalb, weil ich bei der Lektüre von Mr. Majestyk nicht meinen besten Tag hatte, wer weiß.

Leonard saß in einem bequemen Polsterstühlchen seines Hotelzimmers in New York und bot mir eine Menthol an (die ich allerdings nicht rauchen konnte), lehnte sich zurück und redete wie ein Buch.

„1951 habe ich mit dem Schreiben angefangen. Ich hatte 1950 meinen Abschluß an der Universität Detroit gemacht, vor dem Studium war ich Soldat im Pazifik. Während des Studiums schrieb ich ein paar Kurzgeschichten, allerdings ohne Biß. Damals faßte ich den Entschluß, mich auf ein bestimmtes Genre zu konzentrieren, es auszuloten und die Sache wirklich richtig zu machen. Ohne daß ich je ein Wort geschrieben hatte, wollte ich ja immer schon Schriftsteller werden. Ich schrieb also ein paar Westernstories. Die erste erschien 1951 im 'Argosy'-Magazine. In den fünfziger Jahren schrieb ich dann ungefähr dreißig Kurzgeschichten und fünf Romane, alles Western. Die meiste Zeit arbeitete ich währenddessen bei einer Werbeagentur. 1966 verkaufte ich Hombre, den fünften Western, an die 20th Century-Fox. Ich bekam zwar nicht viel dafür, aber immerhin genug, um mich ohne Auftragsarbeiten über Wasser halten und mich auf mein nächstens Projekt, The Big Bounce, konzentrieren zu können.“

Nach fast zwanzig Jahren Vorarbeit im Zentralmythos der amerikanischen Kultur wechselte Leonard dann mit diesem Roman von den staubigen Postkutschenstationen Laramie und Dodge City in die Tiefgaragen-, Hochhaus- und Swimmingpoolwelt Detroits und Miamis, zum Kriminalroman also, wo er mit drei Fingerübungen reüssierte - The Big Bounce, The Moonshine War und Mr. Majestyk -, bevor er die Bombe platzen ließ.

„So ungefähr 1973, vor 52 Pick-up, würde ich sagen, habe ich mit dem angefangen, was ich jetzt mache. In den frühen siebziger Jahren habe ich noch eine Weile mit Filmideen rumexperimentiert. Ein Treatment trug den TitelAmerican Flag, Steve McQueen kaufte es, und wir dokterten 'ne Weile zusammen dran rum, ohne daß was draus wurde. Dann schrieb ich Teile eines Buches über den Streik der Wanderarbeiter mit dem Titel Picketline. In Hollywood interessierte sich niemand dafür, also ließ ich es liegen, weil ich zu dem Zeitpunkt von Drehbuchverkäufen abhängig war. 15 Jahre lange konnte ich mir ja nur wegen der Drehbücher oder der Filmrechte meiner Bücher das Romanschreiben leisten.“

Die Bombe trug den Titel 52 Pick-up, erschien 1974 und eröffnete mit George V. Higgins‘ The Friend of Eddie Coyle und Joseph Wambaughs The Blue Knight eine neue Zeitrechnung im Kriminalroman. Jetzt wurde Tacheles geredet, wer Scheiße meinte, sagte auch Scheiße, die ausgebufften Detektive, private oder polizeiliche, wurden zur Seite gedrängelt, auf der Bildfläche erschien der amerikanische Kleinkriminelle mit Knasterfahrung und einschlägigem Wissen über Handfeuerwaffen, Autodiebstahl und Scheckfälschung, zusammen mit seinem Gegenüber, dem nicht minder erfahrenen Straßenbullen mit der Moral eines durchtrainierten Kettenhundes. Während Wambaugh sich eingehend mit letzterem beschäftigte, konzentrierte sich Leonard auf die bösen Buben.

„Ich verwende eine Menge Zeit auf die bösen Typen, weil sie mir Spaß machen. Das Interessanteste an den alten Kriminalromanen war für mich früher immer das, was da gar nicht erzählt wurde: wie die Morde passieren, was der Mörder treibt, während die Kommissare ihre Untersuchungen durchführen. Was geht in seinem Kopf vor? Was macht er? Das muß doch ein interessanter Typ sein, wenn er schon einen Menschen umgebracht hat.“

Leonards Figuren verdienen ihren Lebensunterhalt durch wiederholtes Drehen der berühmt-berüchtigten krummen Dinger. Dabei betrachten sie ihre Tätigkeit durchaus als legitimen Broterwerb, was man ihnen angesichts einer Gesellschaft, zu deren einträglichsten Erwerbszweigen der Handel mit bewußtseinserweiternden - aber verbotenen - Substanzen gehört, nicht so recht übel nehmen kann. Die führende Industrienation der Welt verschleudert Milliarden für die Spielzeuge ihrer Militärs und läßt 20 Millionen ihrer Mitglieder am Hungertuch nagen, da muß man es einer Romanfigur wie Ernest Stickley junior einfach nachsehen, wenn er Schnapsläden überfällt und Autos knackt, um wenigstens ab und zu die Puppen tanzen lassen zu können. Bestraft wird, wer dumm genug ist, sich schnappen zu lassen. Knast jedoch bildet, genau wie das Leben auf der Straße, und exakt diese Erfahrungen formen Moral und Horizont von Leonards Figuren: ein Auto, 500 Dollar und Aussicht auf einen netten Abend, was willst du mehr? Wer durchaus mehr will, stellt die Machtfrage. Bei diesen Gelegenheiten läßt Leonard dann das gesamte Arsenal verfügbarer Handfeuerwaffen zum Einsatz kommen.

„Immer, wenn ich einer Romanfigur eine bestimmte Waffe geben wollte, ging ich zu Dale Johnston, Detroits Polizeiexperte für Feuerwaffen und Sprengstoffe. Er erklärte mir alles haarklein: 'Hierfür nehmen die Jungs die High Standard Kaliber 22 und dafür die Smith & Wesson Navy Special, Spitznahme Hush Puppy, und so weiter.‘ Ich hab‘ nämlich keine Ahnung von Waffen.“

Ähnlich wie die recherchiert Leonard auch Zeitumstände und Orte seiner Stories bis ins kleinste Detail. Er hat mir in seinem Polstersesselchen viertelstündige Vorträge darüber gehalten, wie er für Labrava die Fakten zur Secret -Service-Vergangenheit Joe LaBravas bei den Behörden zusammengetragen oder sich in den Kasinos von Atlantic City rumgetrieben hat, um Vincent Mora ausGlitz den richtigen Hintergrund zu geben. Man hat ihm in den letzten Jahren des öfteren vorgeworfen, daß er Rechercheure für sich hat arbeiten lassen und außerdem 'ne ganze Menge Geld mit seinen Büchern verdient, wobei ich partout nicht einsehen will, was auch nur eines von beidem mit der Qualität seiner Bücher zu tun haben soll. An meisten Bewunderung nötigte er mit allerdings ab, als er auf die Frage, wie er denn nun eigentlich seine Kriminellen recherchiere, die schlichte Antwort gab: „Ich erfinde sie.“

Einer seiner abscheulichsten Bösewichter trägt den Namen Teddy Magyck und wütet in Leonards bestem Roman Glitz, der Geschichte einer doppelten Verfolgungsjagd von Puerto Rico nach Atlantic City und zurück („Puerto Rico hab‘ ich damals bloß deshalb gewählt, weil es in Detroit so saukalt war und ich mit meiner Frau in Urlaub fahren wollte.“) Teddy bugsiert unschuldige Taxifahrer über Felsklippen und schubst junge Fauen von Hochhausbalkonen 18 Stockwerke in die Tiefe, bloß um Vincent Mora, einen netten Bullen, mit der er eine alte Rechnung zu begleichen hat, auf sich aufmerksam zu machen. Schon nach fünf Seiten weiß man natürlich, wer in diesem Roman letztendlich dran glauben wird, was allerdings keinen dazu bringen dürfte, dem Buch die Spannung abzusprechen; und das ist der große Trick Leonards: Die Spannung seiner Stories stammt nicht aus dem Kriminalfall, sondern aus der Entwicklung der Figuren.

Genau diesen Punkt hat sein langjähriger Arbeitgeber Hollywood bis heute nicht begriffen. Seine Krimis sind bis auf wenige Ausnahmen verfilmt worden. Die Resultate sind katastrophal. Er selber schüttelt den Kopf und grinst.

„Meine Stories sind in den Filmen gar nicht mehr wiederzuerkennen. Ich meine jetzt nicht die Plots, sondern die Art, eine Geschichte zu entwickeln, den ganzen Eindruck. Die Filme sind überhaupt nicht matt, und ich halte meine Schreibweise für ziemlich matt und sehr unterkühlt. Keiner der Filme ist unterkühlt, abgesehen vielleicht von ein paar frühen Western, die ich ganz gut finde. Stick ist kein guter Film, The Big Bounce ist ein furchtbarer Film. The Moonshine War ist schlecht. 52 Pick-up ist ein bißchen besser, aber immer noch etwas zu intensiv, zu schrill. An diesem Filmprojekt sind Dutzende von Leuten beteiligt, und jeder einzelne von ihnen hält sich für einen Schriftsteller. Und alle müssen sie dauernd am Drehbuch rumfummeln. Sie können einfach nicht ihre Finger davon lassen. Hitchcock hatte damals die Rechte zu Nr. 89 Unbekannt gekauft, leider ist er kurz darauf gestorben. CBS macht jetzt möglicherweise 'ne Serie draus, mit Brian Dennehy. Bruce Willis hat letztes Jahr Banditen gekauft und mir einen Drehbuchentwurf zugeschickt: furchtbar!“

Auf literarische Vorbilder angesprochen, schüttelt er den Kopf und meint, daß ihn von den Kriminalschriftstellern außer Cain und George V. Higgins niemand sonderlich beeindruckt habe, die großen Schattenwerfer Chandler und Hammett schon gar nicht.

Vierzehn von Leonards Kriminalromanen sind auf Deutsch zu haben, einige nur noch antiquarisch. Die Übersetzer mühen sich seit Jahren mit wechselndem Erfolg, die trockenen Dialoge Leonards und das ultraamerikanische Ambiente seiner Stories wiederzugeben, und Leonard vermutet (zu Recht), daß seine Bücher in den Übersetzungen eine Menge verlieren.

Inzwischen ist er 65 Jahre alt, lebt immer noch in einem Vorort von Detroit und arbeitet natürlich an seinem nächsten Roman, der im Rockmusikmilieu spielen soll. Heavy Metal! Da wird er wohl ein Guns'n'Roses-Konzert besuchen müssen. Der Ärmste.