LEISE TRAURIGKEIT

■ Unsere DDR-Autorin Annette Leo zum 'Merian'-Heft „DDR“

Gerade rechtzeitig, bevor die Reisezeit so richtig beginnt, ist das 'Merian'-Heft über die DDR auf dem Markt erschienen. Exklusive Geschichten und aufregende Bilder aus „einem unbekannten Land“ werden auf der Titelseite verheißen. Dem Bundesbürger, der, wie im Vorwort behauptet wird, Thailand und Amerika, sogar Australien besser kennt als Thüringen oder Brandenburg, soll sein nahes, fremdes Nachbarland als Reiseziel gepriesen werden.

Ich gestehe, ich habe das Heft mit zwiespältigen Gefühlen in die Hand genommen. Als DDR-Bürgerin, als „Eingeborene“, ist man schließlich empfindlich für jeden falschen Ton, jede grobe Verallgemeinerung bei der Beschreibung des hiesigen Alltags und seiner Lebensräume. Andererseits fürchtete ich nicht weniger die zutreffende Darstellung, die Aufdeckung der wirklichen Reize meiner Heimat. Das könnte einem Geheimnisverrat gleichkommen und würde einer neugierigen Touristenschar auch noch die letzten Zufluchtsorte preisgeben.

Schon der erste Satz des Vorwortes weckte meine Befürchtungen: „Wer hätte gedacht, daß wir noch einmal so richtig auf Entdeckungsreise gehen können?“ Nach der intensiven Lektüre kann ich beruhigt sein: Es ist nicht so schlimm - in erster wie in zweiter Hinsicht.

Das Heft bietet eine Fülle von Informationen und viele einfühlsame Beobachtungen der widersprüchlichen Gegenwart und nahen Vergangenheit. DDR-Autoren und ihre bundesdeutschen Kollegen ergänzen einander mit dem eigenen und dem fremden Blick. Bekannte Autoren wie Christa Wolf, Günter de Bruyn, Erich Loest und Günter Gaus kommen zu Wort. Entstanden ist ein differenziertes, nachdenkliches Bild des Landes, das in den letzten Monaten mit soviel spektakulären Ereignissen in die Öffentlichkeit geraten ist. Keine Idylle und kein düsteres Gemälde, obwohl solche Themen wie Umweltverschmutzung und Städteverfall nicht ausgespart wurden.

Nur die Artikel von Günter Kunert und Walter Kempowski finde ich ärgerlich. Obwohl sie viel Zutreffendes anzumerken haben - über verfehlte Sozialismusvorstellungen und traurige Entwicklungen in Mecklenburg -, scheint mir doch die pauschale Verdammung von allem, was in den letzten 40 Jahren in diesem Land begonnen und versucht wurde, ein Mißton in dem sonst gelungenen Zusammenklang. Hervorhebenswert dagegen die beiden Beiträge über die DDR-Kunst. Vom Ostberliner Kunstkritiker Christoph Tannert ebenso wie vom Münchner Journalisten Peter Würth kenntnisreich und sehr genau dargestellt, geben sie dem interessierten Leser weit mehr als einen Überblick.

Eine leise Traurigkeit - keine Sentimentalität klingt aus vielen Artikeln. Die Beschreibung des Bestehenden ist manchmal gleichzeitig ein Abschied davon. Wer das ebenso einfühlsam liest, wie es geschrieben wurde, der könnte ein behutsamer, freundlicher, gerngesehener Gast in der DDR sein.

Mit den Fotos allerdings habe ich meine Schwierigkeiten. Die Brillanz der Farben, die Qualität des Papiers, die Perfektion des Arrangements lassen alles Vertraute so fremd erscheinen. Die Flußlandschaften, die Dörfer und Stadtansichten sehen viel schöner aus als in Wirklichkeit oder anders schön. Selbst das öde Neubaugebiet, die Häuserruine und die Giftwolken über Bitterfeld haben aus dieser Sicht noch etwas Anheimelndes.

Im Informationsteil, bei den Tourentips, den praktischen Hinweisen für den Touristen hält sich der befürchtete Geheimnisverrat in Grenzen. Natürlich weiß nun jeder, der das Heft gelesen hat, daß Salzwedel eine wunderschöne Stadt ist, die man sich angesehen haben muß, bevor sie endgültig zerfällt. Auch der Reiz von vielen anderen, bislang weitgehend unbekannten Kleinstädten wird zu Recht gepriesen. Aber die meisten schönen Fleckchen findet man erst, wenn man unterwegs ist, und möglichst nicht mit dem Auto.

Das 'Merian'-Heft bietet Tips für Eisenbahn- und Dampferfahrten, Farrad- und Faltbootwanderungen. Außer der beschriebenen Paddeltour durch die Mecklenburger Gewässer gibt es noch viel einsamere und abenteuerlichere Wege, aber ich werde mich hüten, sie hier preiszugeben.