Ort innerer Wahrheit

■ Eine spirituelle Reise nach Lanzarote

Petra Dubilski ORT INNERER WAHRHEIT

Eine spirituelle Reise nach Lanzarote

Die Insel. Eine merkwürdige Stille liegt über der Insel. Kein lärmendes südliches Gewusel, keine üppige Flora, keine liebliche Landschaft. Die Kargheit bedrängt, wirft zurück auf den Lärm im eigenen Kopf, mitgebracht aus nördlicher Betriebsamkeit. Wer hierher reist, reist mit der Seele, hat die Chance, anderes zu erfahren als nur Strandleben und Geselligkeit. Nirgendwo sonst werden Polaritäten so sichtbar: Schwarz und Weiß, Abgründe und lichte Höhen. Lanzarote, die nördlichste der Kanarischen Inseln, ist uralt wie ihre Schwestern und doch so jung, als wäre die Welt eben erst erschaffen worden.

Nicht allein deshalb ranken sich um Lanzarote mehr Mythen als um die anderen Inseln. Gehören die Guanchen, die Ureinwohner der Kanarischen Inseln zu den Nachfahren der Bewohner von Atlantis, der sagenumwobenen, untergegangenen Hochkultur? Ist hier Elysium, die Insel der Glückseligen, wo die Seelen der Verstorbenen ihren Frieden finden? Oder ist hier der Eingang zum Hades, der furchterregenden Unterwelt? Wer weiß es und - was spielt es schon für eine Rolle. Hölle und Paradies liegen in Dir selbst, heißt es. Und wer bereit ist, beides zu erfahren, kann es auf Lanzarote eindringlicher und besser als in Recklinghausen oder Frankfurt.

Schwarz, Weiß, Grün sind die Farben der Insel. Schwarz für die Lava, Weiß für die Häuser und Grün für die spärliche Pflanzenwelt. Grün gestrichen sind auch alle architektonischen Details: Fensterläden, Balustraden, Straßenlaternen. Die Farben als Programm, das ist dem Konzept des Künstlers und Architekten Cesar Manrique zu verdanken. Er wollte verhindern, daß Lanzarote zu einem wild und unharmonisch bebauten Touristeneiland wird. Die Einheit von Kunst und Natur war sein erklärtes Ziel. Die Insel ist übersät mit seinen Kunstwerken und Bauten, die Zahl der häßlichen Betonsilos hält sich in der Tat in Grenzen. Aber es ist nicht die Mischung von Kunst und Kargheit, die Lanzarotes Reiz ausmacht, es sind die Elemente, die hier in ihrer reinsten Form zu erleben sind.

Feuer. Schwarz ist der beherrschende Eindruck der Insel. Schwarz von Lapilli, der kiesartigen Lava-Asche, die überall auf der Insel zu finden ist. Schillernd von Schwarz bis Schwefelgelb sind die Montanas del Fuego, die Feuerberge im Südwesten Lanzarotes. Nichts Lebendiges existiert hier, Schwefelgeruch steigt in die Nase, die Fußsohlen werden bedrohlich warm; bereits zehn Zentimeter unter dem Gestein beträgt die Temperatur 140 Grad Celsius. Absolute Stille herrscht hier, eine Stille, die den Besucher zwingt, in sich selbst hineinzuhören. Die Welt, wie sie ausgesehen haben muß, lange bevor die ersten Amöben aus dem Meer krochen.

Vor 260 Jahren, am 1. September 1730, begann eine der größten Katastrophen der Zeitgeschichte. Vulkane explodierten und überzogen das fruchtbare Land mit einer glühenden Lavaschicht, hochgeschleuderte Asche verfinsterte den Himmel. Sechs Jahre lang dauerte das Inferno, das einen Großteil der Insel zerstörte und 32 neue Vulkane schuf. Sechs lange Jahre lang, die für die Menschen damals das Ende der Welt bedeutet haben müssen und sie doch an den Anfang aller Dinge zurückgeworfen haben. Knapp 100 Jahre später kam es zu erneuten Vulkanausbrüchen. Die Hölle gab keine Ruhe. Viele Lanzarotenos flohen vor ihr nach Südamerika. Trockenheit und Hunger herrschten für lange Zeit auf Lanzarote.

Erde. Nur langsam wagte sich das Leben auf die verbrannte Erde zurück. Zum Schwarz kam das Grün. Zaghaft erst, dann immer vielfältiger breiteten sich die ersten Pflanzen aus. Palmen, Kakteen und buntblühende Büsche wurden von Menschenhand gepflanzt. Die Bauern Lanzarotes wissen auch der Asche noch Köstlichkeiten abzugewinnen. Enarenado heißt die Methode, mit der sie Tomaten, Zwiebeln, Feigen, Melonen und Kartoffeln produzieren: In eine künstliche Mulde wird Muttererde gegeben, darauf wird eine dicke Schicht der schwarzen Lapilli geschüttet. Das Lava-Gestein verhindert so, daß der kostbare Mutterboden vom Wind davongetragen wird, und es hat zudem die Eigenschaft, die Luftfeuchtigkeit aufzusaugen und an die Pflanzen weiterzugeben. Berühmt ist der Wein Lanzarotes, der Malvasia. Schwer und von holzigem Sherry-Geschmack ist das Produkt der niedrigen Rebstöcke, die einzeln in kleinen, künstlichen Kratern wachsen.

Aber auch unter der Erdoberfläche sind unerwartete Schätze zu finden. Keine, die die Banktresore füllen, sondern solche, die auf ganz andere Art und Weise bereichern. Die Cueva de los Verdes im Norden Lanzarotes, ein sechs Kilometer langes Höhlensystem, ist durch Lava-Ströme entstanden. Menschen haben noch bis vor nicht allzu langer Zeit darin gelebt. Ein simples Loch im Boden führt in den Bauch der Erde. Ein Palast mit Emporen, Treppen, schmalen Durchgängen, kleinen Nebengelassen und großen Hallen eröffnet sich dem Mutigen, dem die Unterwelt keine Angst bereitet. Sanft und diskret ausgeleuchtet und mit leiser klassischer Musik beschallt (auch ein Werk Manriques), wird der Weg durch die Cueva zu einer meditativen Reise. Man spürt noch die Gewalt, mit der sich die Lava ihren Weg eröffnet hat. Die erstarrten Tropfen an den Höhlenwänden erwecken den Eindruck, als wolle das Gestein sich jeden Moment wieder verflüssigen.

Im großen Saal, dem Mittelpunkt der Höhle, sind Stühle aufgestellt. Ab und an finden hier Konzerte statt, die - so tief unter der Erde - von unheimlicher Intensität sein müssen. Lebendige Betriebsamkeit paßt hier nicht hinein. Dunkel, feuchtwarm, rund, mit Furchen und Auswölbungen übersät läßt einen der Raum verstummen. Assoziationen werden wach: Geborgenheit im Mutterleib bei einigen, Versöhnung mit dem Dämonischen bei anderen. Der Raum sagt nichts, tut nichts, die Bilder steigen in jedem Besucher auf, ob er will oder nicht. Diejenigen, die hinuntersteigen, lachen und albern herum; diejenigen, die heraufsteigen, schweigen.

Luft. Der Wind weht unablässig auf Lanzarote. Der Nord-Ost -Passat wird nirgends aufgehalten, kein Gebirge, kein Land läßt ihn seine Kraft vermindern. Er reinigt die Luft und zerrt an den Nerven und den wenigen Palmen, läßt keine Pflanze außer dieser in den Himmel wachsen, vertreibt die Hitze und wirbelt um jede Häuserecke. Eitelkeiten werden hinfällig: Kämmen nützt nichts, Kleider knattern am Körper. Er täuscht aber auch über Gefahren hinweg: Die intensive Sonnenstrahlung wird im Wind nicht mehr wahrgenommen, es scheint erfrischend kühl zu sein, aber zwischen Gänsehaut und Schwitzflecken breitet sich bereits ein Sonnenbrand aus. Der Wind fordert Respekt, zwingt dazu, Empfindliches zu schützen. Trägt aber auch Pflanzensamen und Schmetterlinge vom afrikanischen Festland auf die Insel.

Wasser. Türkisfarben an den weißen Stränden, silbrig-blau an den schwarzen Stränden, mit weißer Gischt an den schwarzen und roten Felsen, giftgrün am Lagunensee El Golfo: die Farbe des Meeres wandelt sich je nach dem Grund, auf den das Wasser trifft. Glasklar und farblos ist dagegen der Salzwassersee in den Jameos del Agua, ebenfalls wie die Cueva de los Verdes, ein von Lava gestaltetes Höhlensystem, das jedoch nicht geschlossen, sondern nach oben hin offen ist. Cesar Manrique hat aus diesen Höhlen ein Kunstwerk geschaffen. Tropische Gärten, eine ausgetüftelte Beleuchtung, ein kunstvoll gestalteter Swimming-Pool, eine Bühne für Konzerte sowie eine Bar, ein Restaurant und eine Diskothek gruppieren sich um den Höhlensee. In dessen Tiefen lebt die letzte Gattung eines ansonsten ausgestorbenen winzigen Salzwasserkrebses, dessen Abkömmlinge - durch die Dunkelheit in der Höhle - weiß und blind sind.

Das Land selbst ist trocken. Es stehen keine natürlichen Quellen zur Verfügung. Lediglich im Famara-Gebirge, wo sich in den Wintermonaten riesige Wolkenbänke verfangen und ihre Wassermassen ausregnen, gibt es eine drei Kilometer lange Leitung, die das Regenwasser abzapft. Vor 25 Jahren wurde die erste Meerwasser-Entsalzungsanlage gebaut, durch die der Grundstein für den expansiven Tourismus auf der Insel gelegt wurde. Wasser ist kostbar auf Lanzarote. Es ist mühsam und kostspielig, es aus Meerwasser zu gewinnen. Wer von den Touristen auf den Regen schimpft und Wasser verschwendet, weiß nichts von den Notwendigkeiten des Lebens.

Die Pyramide. Die Klarheit der Elemente, die Klarheit der Farben machen Grenzen sichtbar und verhindern Grauzonen. Sie fordert aber auch zur bewußten Grenzüberschreitung auf. Auf Lanzarote ist Jenseitiges, weil sinnlich so präsent, nichts Übersinnliches. Im Dörfchen Punta de Mujeres, so heißt es, wohnen weise Frauen, die die Zukunft vorhersagen. Für Lanzarotenos ist es nichts Ungewöhnliches, sie zu befragen.

An der Costa Teguise, nordöstlich von Arrecife, der Inselhauptstadt, wurde ein neuer Ort der inneren Wahrheiten gebaut: Eine große weiße Pyramide leuchtet auf dem Dach eines Gebäudes inmitten einer der zahlreichen Ferienanlagen. Ein Frankfurter Ehepaar hat hier vor vier Jahren ein spirituelles Zentrum eröffnet. Die Pyramide - Symbol der Welt und der Initiation im alten Ägypten wie im alten Südamerika. Wieder eine Verbindung zu Atlantis?

In der Pyramide soll sich die fremdartige Energie der Insel konzentrieren, wie es der Mythos von der Kraft der Pyramiden kundtut. Es werden Reisen nach innen für jene angeboten, denen die elementare Kraft der Insel allein nicht genügt, oder die mehr wollen, als sich nur ihren eigenen Gefühlen zu überlassen. Der Spiritualität, was immer das für den Einzelnen bedeuten mag, kann man sich auf verschiedenen Wegen nähern. In der Pyramide ist vieles möglich: Die allmorgendliche Meditation, Kurse von Astrologie bis Zen, Yoga, Ernährung, Tanz, Therapie und Übersinnliches - oder auch nur Alleinsein mit sich selbst. Die unterschiedlichsten Menschen werden von der Pyramide angezogen, Deutsche, zunehmend auch Engländer und auch Lanzarotenos. Manche wollen zu sich selber finden, andere der Einsamkeit einer Feriensiedlung entgehen, weitere mit Gleichgesinnten zusammentreffen, und es gibt auch solche, die in ihrem Urlaub einen Ort für geistige Aktivität brauchen. Die meisten der Gäste reisen jedoch ab mit dem Gefühl, daß „irgend etwas passiert“ ist mit ihnen, daß das Nachher anders war als das Vorher.

Die Pyramide - ein Ort, wo die eigenen, vielleicht verborgenen Kräfte erfahren werden können, ob mit oder ohne fremde Anleitung. Lanzarote - eine Insel, deren eigentümliche Ausstrahlung zu einer Reise zu sich selbst führen kann.