Mit Geld? Nein.

■ Ulf Erdmann Ziegler sprach mit Suzanne Vega über Freunde, Eltern, Zank im Studio

Mit der Legende von der zerbrechlichen Suzanne Vega aufzuräumen, ist ein Lieblingsspiel unter Musikjournalisten. „Weit davon entfernt, ätherisch in unser Leben vorzudringen, hat sich Suzanne Vega entschieden in unser kollektives Bewußtsein getreten“, befand ein Journalist, der sie auf der zweiten Tournee 1987 traf. Die weiße Sängerin/Songwriterin aus New York City, die im Juli 31 Jahre alt wird, hat jedenfalls Mitte der Achtziger den Markt freigeräumt für Frauen mit Gitarre.

Über alle Maßen gerühmt für die erste Platte, mit dem Song über das mißhandelte Kind Luka (von der zweiten LP) weit in die Charts geschossen legt sie nun Days of Open Hand vor, ein homogenes Werk gediegener Technik - unterkühlte Ohrwürmer am Stück. Die Produktion hat sie nun, gemeinsam mit ihrem Freund und Tastenmann Anton Sanko, selbst übernommen. Die Tourneeband, mit Ausnahme des unglücklich wirkenden Sanko, ist ein Paket kraftstrotzender Session -Musiker, die sich anstrengen, Abweichungen von der Platte nicht allzusehr hören zu lassen. Die erwähnten Titel Calypso und Gypsie sind zwei Folk-Songs von 1978, die auf die zweite Platte gemogelt wurden. Im taz-Interview berichtet Suzanne Vega von alten Idolen und neuen Freunden und wird außerdem auf eine Idee gebracht: Ihren submittelständischen Eltern vom großen Geld ein bißchen abzugeben.

taz: In einer deutschen Zeitung habe ich gelesen, daß Sie von Lou Reed „ungefilterte Roheit“ gelernt hätten. Sind Sie gewalttätig? Sind Sie wild?

Suzanne Vega: Nein, das ist ganz verkehrt. Denn ich bin nicht wild. Ich bin kein gewalttätiger Mensch, aber ich schreibe von gewalttätigen Dingen.

Wie etwa...

Was ich von Lou Reed gelernt habe, ist, unmittelbarer zu sein. Sie wissen: Lou Reed spielt immer wieder dieselben Akkorde, hauptsächlich E-Dur, wenn Sie hinhören. Was mich vor zehn Jahren beeindruckt hat, war ein Song, der hieß „Carolyne says, Part 2“ auf dem Berlin-Album, das vorwiegend akustisch war - nicht gerade das, was man Rock'n'Roll nennt. Die ersten zwei Zeilen des Songs gingen so: „Carolyne says / As she gets up off the floor / You can hit me all you want to / But I don't love you anymore.“ In dieser Strophe steckt eine ganze Welt, man weiß, wie Carolyne aussieht, was sie sagen will, über wen sie spricht.

In diesen Zeilen gibt es aber auch einen starken Widerstand gegen Gewalt, nicht wahr?

Ja, sie widersteht der Gewalt. Aber was mich damals beeindruckt hat, war die Haltung, die im Song bezogen wird. Die Tatsache, daß er akustisch war... Ich wußte, es war ein wahrhaftiger Song, selbst wenn Lou Reed keine Frau namens Carloyne kannte. So etwas passiert wirklich. Er schrieb vom wirklichen Leben. Bis dahin hatte ich gedacht, Folk-Musik oder akustische Musik wäre eigentlich romantisch...

Wie „Calypso“.

Ja. „Gypsie“ und „Calypso“. Obwohl ich bis dahin Leonard Cohen gehört hatte, war ich von der dunklen Seite des Schreibens angezogen. Bei Cohen war es auch romantisch, bei Lou Reed allerdings was es derb. Aber, wenn Leute offensichtliche Parallelen suchen, finden sie sie natürlich nicht. Schließlich werfe ich auch keine brennenden Zigaretten ins Publikum.

Noch nicht.

Nein, noch nicht (lacht)... Manchmal würde ich das gern tun.

Kennen Sie Musiker von der sogenannten Avantgarde-Szene in New York, wie Fred Proth oder John Zorn?

Ich kenne sie nicht, aber ich weiß von ihnen, wir hören manchmal ihre Musik. (Zu sich flüsternd:) Eigentlich sollte man sich solche Leute ansehen... (Laut:) Nein, in New York treffe ich immer noch einige Leute von der Folk-Szene, und ich bin mit denen befreundet, die schon vorher meine Freunde waren.

Und es gibt so etwas wie einen neuen Kreis von Leuten, mit denen ich mich ein bißchen angefreundet habe, nämlich Philip Glass und seine anderen Freunde, vor allem Choreographen... Wir gehen zusammen zu Konzerten, vor ein paar Wochen haben wie La Monte Young gesehen (wie Glass Komponist von Minimal Music, Jahrgang 1935). Das ist eine neue Richtung für mich. Nein, nicht Richtung, aber gesellschaftlich ist das interessant. Philip bringt alle zusammen, aus unterschiedlichen Medien und so, verschiedene Altersgruppen. Das ist seine Vorstellung, daß die Leute sich treffen sollen. Ums ein Haus treibt sich immer ein Haufen Leute herum.

Ist es denen wichtig, was Sie tun, oder ist es denen egal, ob Sie Platten machen?

Oh doch, ich glaube, daß das wichtig ist, wir sprechen über Musik und Philip ist neugierig, die Sachen von der neuen Platte zu hören. Verstehen Sie, er ist neugierig, was die Tatsache angeht, daß ich das neue Album mit Anton (Sanko) koproduziert habe.

Anton Sanko ist nicht auf der ersten Platte, stimmts, aber auf der zweiten. Also haben Sie ihn zwischendrin getroffen.

Ja.

Mit scheint, er ist wichtiger geworden, nicht nur in Ihrem Leben, sondern auch für Ihre Musik?

(Zu sich:) Für meine Musik.

Er hat einige Songs mitgeschrieben, bei manchen ist er mit drei oder vier Instrumenten dabei. Das ist doch nicht mehr so ganz Ihre Musik, oder?

Nun gut, ja und nein. Sicher, ich bin mir darüber im Klaren, daß er mein Leben in bestimmten Aspekten beeinflußt hat. Wie er über Musik denkt... finde ich sehr interessant.

Er ist wichtiger geworden, das höre ich. Da kommt ein fremdes Element dazu. Jedenfalls, auf Ihrer ersten Platte konkurrieren, hauptsächlich, die Gitarren miteinander. Als hätte ein regelrechter Kampf stattgefunden, während es jetzt ein runder Klang ist, austariert.

Ich kann Ihnen sagen, wo die kämpfenden Elemente herkamen: Lenny (Kaye) auf der einen Seite, und Steve (Addabbo) auf der anderen (die beiden Produzenten der ersten Platte). Steve hat seine Art zu arbeiten und war außerdem mein Manager. Er suchte sich sehr professionelle Session-Musiker, die Noten lesen können. Dann kommt Lenny dazu und will mit den Mitgliedern seiner eigenen Band arbeiten, die wilde und durchgedrehte Typen sind. Aber dafür instinktiver. Und nicht einmal sie verstanden sich: Jon Gordin (g) und Paul Dugan (b) konnten nicht in einem Raum zusammensitzen. Jon sagte immer diese wundervoll sarkastischen Sachen. Wir mußten die quasi trennen.

Stimmt es, daß Sie aus einer Familie kommen, die sich extrem abseits gehalten hat, so wie die Familien bei Salinger?

Das Gefühl war da. Meine Schwester kann sich erinnern, daß wir nie rausgegangen sind, um mit anderen Kindern auf der Straße zu spielen. Wir waren immer drinnen.

Etwas anderes war das andauernde Gefühl von Gefahr. Meinem Vater, das heißt meinem Stiefvater - ein politischer Aktivist, der sich als Puertoricaner fühlte, nicht als Amerikaner - war die Welt im allgemeinen sehr verdächtig. So: Um unsere Sicherheit zu garantieren, blieben wir besser zu Haus. Also waren wir sehr abgeschlossen, haben uns Geschichten erzählt und sie selbst gespielt.

Was halten Sie jetzt davon?

Wie wir großgezogen wurden?

Ja?

Ich denke, daß es über weite Strecken gut war, weil wir so erzogen wurden, stark zu sein. Meine Familie war sehr anders als andere Familien, die ich kannte. Bei denen wurde um sechs zu Abend gegessen, die Wohnungen waren schön sauber. Bei uns: Chaos, nichts organisiert, meine Mutter versuchte ihr Bestes, aber... Manchmal aßen wir um sechs, machmal um halb zwölf. Wenn meine Eltern sich gestritten hatten, kochte ich.

Waren Sie die Älteste?

Ja. Mein Vater schrieb die ganze Nacht durch und schlief am Tag, wenn er nicht arbeitete, um zusätzlich Geld zu verdienen.

Was macht er jetzt?

Er ist Schriftsteller. Er schreibt noch.

Unterstützen Sie Ihre Eltern jetzt?

Ob ich sie untersützte?

Ja.

Mit Geld? Nein.

Sie könnten das.

Ich könnte das, aber ich tu's nicht.

Viele erfolgreiche Leute tun das.

Ja, ich glaub‘ auch. Meine Haltung war immer... Unabhängigkeit, scheint mir. Vom frühestmöglichen Zeitpunkt an habe ich angefangen, eigenes Geld zu verdienen, mein eigenes Konto gehabt. Ich habe gearbeitet, solange ich mich erinnern kann, seit ich neun war. Wissen Sie, das ist zwschen uns nie...

Hm.

Warum?

Nun, wenn man bis zu einem gewissen Grad erfolgreich ist, dreht sich das ja um. Mache Eltern sind abhängig von ihren erfolgreichen Kindern. Boris Beckers Eltern, zum Beispiel.

Ich denke, das stimmt, obwohl ich nicht wüßte, wie meine Eltern das finden würden. Weil meine Eltern sehr stolz sind, besonders mein Vater, chaotisch.

Tournee: 19.Mai, Frankfurt; 20.Mai, Mannheim; 21.Mai, Stuttgart

„Suzanne Vega“, 1985; „Solitude Standing“, 1987; „Days of Open Hand“, 1990, alle auf A&M - Polydor