Gegenwind für die „Göttin der Demokratie“

Taiwan läßt sich von Pekinger Drohungen einschüchtern und verzögert Auslaufen des Radioschiffs der chinesischen Exildemokraten / Sollte der Piratensender Rock und Stimmen der Dissidenten nach China ausstrahlen, verwehrt auch Taiwan das Anlaufrecht  ■  Aus Peking Boris Gregor

Die „Göttin der Demokratie“ ist noch immer stumm - und es ist fraglich, ob sie in der nächsten Zeit ihre Stimme erheben wird. Das von der in Paris beheimateten chinesischen Dissidentenorganisation „Bund für Demokratie in China“ (FDC) gecharterte Radioschiff lag bis gestern im Hafen von Keelung auf Taiwan. Die Besatzung wartete auf die Freigabe eines 50 Kilowatt starken Mittelwellensenders durch den nationalchinesischen Zoll, der die Prozedur auffällig in die Länge zieht.

Die Verzögerung hat politische Gründe: Denn der taiwanesischen Regierung, derzeit an reibungslosen Handelsbeziehungen mit dem offiziell noch verfeindeten Festland interessiert, ist derzeit nicht daran gelegen, die Kommunisten auf dem Festland allzusehr zu verärgern. So gestatteten die Behörden zwar dem 1.200-Tonnen-Schiff, in Keelung zu docken, beschieden aber die elfköpfige Besatzung nach einem wütenden Protest Pekings, wenn sie von hoher See Nachrichten in Richtung Volksrepublik sendeten, hätten sie das Recht verwirkt, wieder einen taiwanesischen Hafen anzulaufen. Dies bringt die Organisationen in erhebliche Kalamitäten, denn Hongkongs Regierung hat der „Göttin der Demokratie“ bereits die Landung untersagt; Singapur, das ebenfalls keine Schwierigkeiten mit Peking will, könnte ebenfalls absagen - ein Hafen zur Proviantaufnahme wäre also nicht in der Nähe. Dies alles dürfte die Initiatoren des schwimmenden Piratensenders, unter der Flagge des Ministaates St. Vincent, freilich nicht von ihrem Vorhaben abbringen: Sie haben Bänder mit den Stimmen nach dem Tiananmen-Massaker geflüchteter Studenten und Intellektueller, wie Chai Ling und Wu Erkaixi, die sie, mit Musik und Nachrichten, den Chinesen zu Gehör bringen wollen. Die Pekinger Führung scheint dies nervös zu machen: Die Mission sei „subversiv“ und verstoße gegen das internationale Seerecht. Es handele sich um einen weiteren Versuch, die Stabilität von Staat und Partei zu untergraben, keiften die Genossen.

Die Reaktion zeigt, daß sich die KP ihrer Sache ein Jahr nach dem „Sieg gegen die Konterrevolution“ nicht sicher ist, denn auf einen Sender mehr oder weniger, der „bürgerlich -liberales“ Gedankengut in die chinesischen Dörfer und Städte funkt, dürfte es eigentlich nicht ankommen. Die Chinesen hören - freilich gestört - die „Stimme Amerikas“ und - nicht gestört - BBC, die „Deutsche Welle“ sowie taiwanesische und Hongkonger Sender. In der Provinz Kanton können Bürger mit einigem technischen Geschick gar Hongkongs Fernsehprogramme empfangen. Im Äther ist auch eine „Stimme des 4.Juni“, die offenbar aus Amerika sendet und die „Kampfgefährten“ auffordert, sich zu erheben“. Nach dem 4.Juni waren in Pekings Geschäften die Weltempfänger (140 bis 170 Yuan) ausverkauft - viele Intellektuelle schalten regelmäßig die ausländischen Sender ein. Die Pekinger sind deshalb auch nicht sonderlich erregt über das Schicksal der „Göttin der Demokratie“, wenngleich es, wie manche Hauptstädter sagen, schon reizvoll wäre, die Stimmen der geflüchteten Studentenführer zu hören. Die Behauptung Pekings, der Sender verstoße gegen internationales Recht, ist übrigens nicht von der Hand zu weisen. Tatsächlich verbietet der Artikel 109 der 1982 verabschiedeten Seerechtskonvention „ungenehmigte Radiosendungen auf hoher See“. Allerdings ist das Gesetz noch nicht in Kraft, und Gelehrte in Hongkong brüten über der Frage, ob Chinas Marine das Recht hat, das Schiff abzudrängen, zu kapern oder gar zu versenken.