„Arbeit, Schweiß und noch mehr Opfer“

Liberalisierungshoffnungen vor den Parlamentswahlen in Syrien / Die Opposition bleibt jedoch ausgeschlossen  ■  Von Jürgen Loer

Auffällig lehnte sich der syrische Präsident Hafis el-Assad an die Durchhalteparole Winston Churchills an, als er in seiner Botschaft an das syrische Volk vom 8.März behauptete: „Patriotismus bedeutet vor allem: Arbeit, Schweiß und noch mehr Opfer.“ Doch trotz des markigen Spruchs wollte der „syrische Löwe“ durchaus Versöhnliches mitteilen. Denn acht Jahre nach der Niederschlagung der Revolte in Hama, bei der Zehntausende ums Leben kamen, deutet nun auch in Syrien manches auf eine vorsichtige Liberalisierung hin. Für den 22. Mai sind Parlamentswahlen angesetzt.

Bereits Anfang des Jahres wurde der Ausnahmezustand aufgehoben. Er war schon vor dreißig Jahren verhängt worden. In seiner Botschaft vom 8. März kündigte Assad dann an, daß die „Anwendung“ der Notstandsgesetze, die seit der Machtübernahme der herrschenden Baath-Partei im März 1963 in Kraft sind, „eingeschränkt“ werden solle. Besonders deren Bestimmungen zur Staatssicherheit geben Assad viel Spielraum, seinen absoluten Machtanspruch durchzusetzen und jegliche Opposition zu unterdrücken.

Selten zuvor war in der syrischen Öffentlichkeit eine Rede Assads mit so viel Spannung erwartet worden. Diese Erwartungen schürten jedoch nicht die syrischen Medien, die sich wie gewöhnlich dem Personenkult um Assad widmeten. Vielmehr wurden über ausländische diplomatische Kreise Informationen über bevorstehende Reformen verbreitet.

Hinter dieser verqueren Informationspolitik verbirgt sich aber ein geschickter Schachzug. Assad weiß, daß alle politisch Interessierten in Syrien die arabischsprachigen Sendungen ausländischer Radiostationen hören. Somit konnte Assad sicher sein, daß die eigentlichen Adressaten erreicht werden. Gleichzeitig vermied er dabei, den Ankündigungen einen offiziellen und damit verbindlichen Charakter zu geben.

Die hochgespannten Erwartungen erfüllte Assad am 8. März allerdings nicht. Denn außer der „eingeschränkten Anwendung“ der Notstandsgesetze kündigte er keine weiteren Reformen an.

Doch es kann kein Zweifel daran bestehen, daß es in Syrien zu Veränderungen kommen wird. Erste Anzeichen einer innenpolitischen Kurskorrektur waren bereits im Frühjahr 1989 auszumachen.

Eine Delegation der Menschenrechtsorganisation „amnesty international“, bisher von syrischer Seite als „CIA -Tarnorganisation“ verdammt, wurde offiziell empfangen eine kleine Sensation. Ausschlaggebend war hierbei offenbar der Versuch der Assad-Regierung, dem schlechten Ruf als Folterregime entgegenzutreten.

Neben der katastrophalen Wirtschaftslage wurden aber in den letzten Monaten vor allem die Entwicklungen in Osteuropa bei Syriens Mächtigen ausschlaggebend, daß nur eine Liberalisierung ihr Überleben sichern könnte.

Als weitere Reformschritte war die Erweiterung der aus sechs Parteien bestehenden und von der regierenden Baath -Partei Assads kontrollierten „Nationalen Progressiven Front“ vorgesehen. Vor allem sind die Zulassung einer islamischen Partei und deren Aufnahme in die Front zu erwarten. Geführt werden soll diese Partei von Marwan Sheikhu und Said al-Buti, zwei sunnitischen Kurden, die das Vertrauen der Machthaber besitzen. Die radikal-islamische Opposition um die Muslimbruderschaft sollte so in das politische System integriert werden. Bis heute sind diese Reformen jedoch noch nicht bekanntgegeben worden. Und ungewiß ist noch immer, auf welchem Weg diese Umgestaltungen verwirklicht werden sollen. Auf dem kommenden, schon mehrfach verschobenen Parteitag der Baath-Partei müßten die Weichen dafür gestellt werden.

Ausschließen läßt sich freilich nicht, daß eine Konferenz aller politischen Parteien einberufen wird. Bisher ist die Opposition von Kommunisten, Muslimbruderschaft, linkem und rechtem Flügel der Baath-Partei zu einer Zusammenarbeit mit Assad nicht bereit. Nachdem die syrische Regierung vor kurzem bekanntgab, daß sie mit Oppositionellen im Exil Kontakt aufgenommen habe, erklärte Issam al-Atar, ein ehemaliger Führer der Muslimbruderschaft, daß er mit diesem Regime nichts zu tun habe. Voraussetzung für einen Dialog sei zunächst die „Respektierung der Menschenrechte“.

Doch immerhin hat die Kurskorrektur Assads die seit dem Massaker von Hama weitgehend paralysierte Opposition wiederbelebt. Auch sollen sich inzwischen neue Oppositionsgruppen gebildet haben. Zu den Parlamentswahlen freilich sind sie nicht zugelassen.

Zwar hat der syrische Präsident die Anzahl der Parlamentssitze von 195 auf 250 erhöhen lassen. Aber die zusätzlichen 55 Mandate stehen nicht neuen Parteien zur Verfügung, sondern sind für vorgeblich „unabhängige Kandidaten“ gedacht. Wer aber die „Unabhängigen“ sind, war bis heute nicht zu erfahren. Zu rechnen ist aber damit, daß der eine oder andere weniger populäre Kommunist oder Muslimbruder sich als „Unabhängiger“ um eines der Mandate bewerben wird. Am Ausgang der Wahl und an einem Sieg des „syrischen Löwen“ werden indes die Neuparlamentarier nichts ändern können. Und auch am autoritären Herrschaftsstil wird sich nach den Wahlen allenfalls graduell etwas ändern.

Wirklich demokratische Verhältnisse werden unter Assad nicht anbrechen. Daran ließ der „Führer bis in alle Ewigkeit“ keinen Zweifel aufkommen. Als er am 28.Februar erstmals öffentlich zu den Ereignissen in Osteuropa Stellung bezog, meinte er: „Die Korrektivbewegung war die erste Perestroika der Welt.“ Und „Korrektivbewegung“ ist die offizielle Phrase für Assads Putsch vom November 1970.