Riedle zum Letzten: „Schießen Sie nur!“

■ Wenn Reck doch bloß und Manni nur hätte - dann wären Mienen heller und Plätze voller

Das war's dann. Das letzte Werder-Bild der Fußball-Saison 89/90: Kalle Riedle, der 15-Millionen-Mann, unbemerkt trotz fein-legerem italienischen Maßanzug, neben ihm die Reisetasche auf dem Bremer Flughafenparkplatz. Sonst niemand mehr. Die Manschaftskameraden sind schon weg, der Trainer ist weg, der Manager ist weg. Warten auf das letzte Taxi. Eine Fotografin bittet um ein Abschiedsbild. Riedle, um ein verquältes Lächeln bemüht: „Schießen Sie ruhig!“

Pünktlich um 11.30 hatte das Flugzeug mit der teuren Fracht auf der Bremer Landebahn aufgesetzt. Nur eine Handvoll der allertreuesten Fans wartet auf ihre geschlagenen Idole. Spärlicher Beifall, als sich die Verlierer mit bitteren Gesichtern durch die Abfertigungshalle und die kleine Menge der Unentwegten quälen. Ein paar aufmunternde Worte, ein paar geschüttelte Hände. Dann bahnt sich Willi Lemke mit obigatorisch wehendem Trenchcoat, links einen Koffer, recht einen Koffer, den Weg zum wartenden VW-Polo. Ein freundlicher Klaps auf die Wange von Uwe Harttgen, ein gutgemeintes Schulterklopfen für Dieter Eilts,

dann läßt auch Lemke seine „tragischen Helden“ (Lemke) allein.

Zu dritt warten Riedle, Harttgen und Eilts auf ein Taxi. Nichts wie weg von diesem Ort, nichts wie weg aus dieser Runde. Schon um 11.45 sind sie die letzten. Aber nicht mal die Taxifahrer drängeln sich, wenn Pokalverlierer nach Hause kommen. Schließlich spurtet Eilts in gewohnter Mittelfeld -Manier, hefig winkend, hinter einem weißen Mercedes hinterher, schleppt die Koffer 70 Meter über den Flughafenvorplatz, verstaut Hartggens und sein Gepäck im Kofferraum. Statt der großen Sieges-Sause auf dem Domshof hat der graue Alltag die Fußball-Helden wieder. Die Saison -Abschlußfeier ist schon im kleinsten Kreis in Berlin gelaufen. Klaus Wedemeier war da, auch Walter Momper hat sich kurz sehen lassen. Schon am Nachmittag hat der Trainer eine Manschaftsbesprechung und leichtes Training angesagt. „Es geht immer wieder von vorne los,“ sagt Uwe Harttgen. Kurze Umarmung mit dem als allerletzten zurückbleibenden Riedle: „Sehen wir uns nochmal? “ „Ja, einmal sehen wir uns noch!“

Auf dem Domshof legt derweil nur das Grün der schlaffen Fah

nen einer Bremer Brauerei Zeugnis vom ausgefallenen grün -weißen Volksfest ab. Der Platz, von der Polizei vorsorglich schon mit spanischen Reitern umzäunt, bleibt menschenleer. Am unteren Ende der Arena gähnt eine riesige Bühne. Eigentlich hätten darauf zwei Kapellen spielen sollen, während die strahlenden Sieger einer unübersehbaren Menschenmenge aus den Rathausfenstern zugewinkt und Mannschaftskapitän Mirko Votava der Menge triumphierend den Pokal entgegengereckt hätte. 12 Stände hatte eine eigens gebildete „Arbeitsgemeinschaft Pokalfeier“ beim Stadt-und Polizeiamt vorausschauend für den „Verkauf von Speisen“ und den „Ausschank alkoholfreier und alkoholhaltiger Getränke“ beantragt und genehmigt bekommen. Das ist jetzt hinfällig. Auch daß die Waller Swing Band, die auf dem Rathausvorplatz zu Ehren des Deutschen Weins aufspielt, am Samstag abend noch ein Mal vorsorglich „Oleeeh, Oleeeh, Ole, we are the Champs“ geprobt hat.

Umsonst hat die Pressestelle des Senats auch an die 500 Einladungskarten für den Rathaus-Empfang der Werder-Kicker verschickt, unten mit dem Zusatz:

„Auf Wunsch des SV Werder Bremen findet dieser Empfang nur statt, wenn es dem SV Werder gelingt, Deutscher Pokalsieger 1990 zu werden.“ Statt Hunderten von Ehrengästen, dem Bürgermeister und der Manschaft sitzt jetzt nur ein einsamer Portier seine letzte Dienst-Stunde ab. In der Portiersloge liegt noch der Zettel mit dem ausgefallenen Programm in Stichworten: „Erwartete Gäste: 450. Beflaggung - ja. Blumenschmuck - ja. Reden - ja.“ So aber bleibt das Schieferdach des Rathauses weit und breit das einzige, was kräftig-grün leuchtet.

Eine Touristengruppe kommt zufällig vorbei. Während der Reiseleiter routinemäßig sein Sprüchlein zur Geschichte und Architektur von Rathaus und Roland runterspult, mutmaßen ein paar Unaufmerksame: „Kannst Du Dir denken, was heute hier los wäre, wenn...“

Wenn. Wenn Reck nicht... Wenn Brathseth doch bloß... Wenn Burgsmüller noch mal.

Kurz nach 12 findet auch Kalle Riedle ein Taxi, das ihn endlich wegbringt. Die Manschaftsbesprechung am Nachmittag wird schon ohne ihn stattfinden.

K.S.