Müll, Menschen und Tod

■ Kein Pfand, keine Rückgabe: Alban Bergs Oper „Wozzeck“ in Bremerhaven

„Die Musik der Moderne hebt die des Buches hervor“, schreibt A-dorno über Alban Bergs 1925 uraufgeführte Oper „Wozzeck“. Alban Berg hat aus dem skizzenhaften Fragment Büchners eine streng geschlossene Form gemacht. In drei Akten zu je fünf

Szenen wird die Geschichte des Soldaten Wozzeck erzählt, dem die Herren seiner Zeit zum Versuchsobjekt und zum Sklaven degradieren, der seine Geliebte Marie ermordet, als er erfahren muß, daß sie dem Druck eines schönen Tambourmajors nachgegeben hat.

Das Bremerhavener Städtische Orchester unter der Leitung Leo Plettners hatte mit den Proben zu dem komplexen musikalischen Gewebe dieser „Piano-Oper mit Ausbrüchen“ (Berg) schon vor einem Jahr begonnen. Ob eine kleine Bühne in der Lage sein würde, einem Meisterwerk der Atonalität gerecht zu werden, war durchaus fraglich. Umso erstaunlicher ist die Leistung des Stadttheaters: Johannes Felsenstein hat ebenso einfach wie dicht inszeniert, und Leo Plettner dirigierte bei der Premiere am Samstag ein Orchester in Hochform, welches von Anfang an, wie gefordert, kammermusikalische Durchsichtigkeit zustandebrachte. Wozzeck im Kreis

Felsensteins offen gehaltene Bühne (Bild: Wolfgang Cäsar) besteht aus zwei Spielflächen, die vordere kann zur schiefen Ebene angehoben und so zum Aufgang für die höhergelegene Galerie im Hintergrund werden. Vorn sitzt Marie mit Kind in ihrer Kammer, hinten marschieren Soldaten oder flanieren Passanten. Von draußen kommt Wozzeck (überzeugend: Erik Stumm); er folgt unruhig den

Linien einer am Boden aufgetragenen Kreisfigur oder den Umrissen eines Herzens, zum Piktogramm vereinfacht und an die Rückwand der Bühne projiziert, wo es sich gelegentlich dreht. Wozzecks Leben als ein Sich-Drehen im Kreis, ein vergebliches Auflehnen gegen ein Schicksal, das ihm das Messer in die Hand drückt, mit dem er zum Mörder wird. Müll in Tonnen

Felsenstein liebt die drastischen Bilder. Das Messer schwebt vom Bühnenhimmel herab direkt vor Wozzecks Nase und hängt große Kreise ziehend - mehrere Szenen lang in der Luft. Die Handwerksburschen in der Wirtshaus-Szene des zweiten Aktes urinieren in moderne Pissoirs. Im ersten Akt sitzt Wozzeck, mit heruntergelassenen Hosen, auf dem dörflichen Plumpsklo, in welches später, nicht besonders einleuchtend, der geile Tambourmajor den Kopf seiner Marie steckt. Der kittelweiß geschminkte Doktor (Krassimir Kurtakov) und der uniformblau geschminkte Hauptmann (Apcar Minas) stellen sich wie Beckett -Figuren in zwei halb aus dem Boden ragende Mülltonnen. Sinnvolle Bilder? Aufgesetzte Gags? Daß Wozzeck die tote Marie in einer fahrbaren Großmülltonne deponiert und auch sich selber dort begräbt, mag ja noch angehen. Aber daß ein Ballett aus Roboter-Menschen an Anfang und Ende der Oper die Kreisbahnen Woz

zecks vor-und nachläuft, das ist eine unnötig dick aufgetragene Aktualisierung und nimmt zudem den abrupt abbrechenden leisen Schlußakkorden der Musik die Wirkung. Menschenmusik

Das symphonische Gewebe und das Bühnengeschehen wuchsen erst im Verlauf der eineinhalbstündigen Aufführung so präzise zusammen, wie es von Anfang an gefordert ist. Dort, wo jedes einzelne Wort verstanden werden muß, artikulierten einige SängerInen zu ungenau oder, wenn sie im Hintergrund agierten, zu leise. Das überfordert die symbolische Kraft der Musik und erschwert das Verständnis ihres Zusammenhangs mit den Bildern. Schwierigkeiten mit dem von Berg geforderten Sprechgesang hatte die Sängerin der Marie (Christel Patzschke), die auf den Sprech-Duktus fast verzichtete.

Das sind Einschränkungen, die der Inszenierung manches nehmen, aber nicht das Wichtigste: Die Intensität, mit der die Bremerhavener Alban Bergs Musik und Georg Büchners Dichtung hör-und sichtbar machen. Warum Adorno in „Wozzeck“ das „erste Modell einer Musik des realen Humanismus“ sah, kann nachvollzogen werden. Der Weg von außerhalb für die wenigen geplanten Aufführungen lohnt sich. hans happe

Weitere Aufführungen im Stadttheater Bremerhaven: 23.5., 25.5., 31.5., 1.6., 5.6., 7.6., je20 Uhr.