Sa Re Ga Na Pa Dha Ni

■ Nusrat Fateh Ali Khan & Party - Qawwali-Sänger aus Pakistan touren durch die BRD

Ya Jo, Halka Halka Sarror Ha/ Ya Teri Nazar Ka Qasur Ha Keh/ Shrab Pena Sikha Dia. Ich bin ein wenig betrunken, und/ Es ist Deiner Augen Schuld,/ Daß ich begann, Alkohol zu trinken.“

Mit diesem Ghazal1 verabschiedete sich Nusrat Fateh Ali Khan bei einem WOMAD-Festival2 von seinem Publikum. In ihrem über dreistündigen Konzert hatten die Sänger und Musiker einen dramatischen, energiegeladenen Spannungsbogen aufgebaut, und nun löste sich die Anspannung des Publikums in nicht enden wollendem Applaus und Jubel. Drei Stunden höchster Konzentration - und das bei einem Bühnengeschehen, das in klassischem Sinn gar nicht stattfand. Denn die freundlich blickenden Herren aus Pakistan hatten ihre einmal eingenommene Sitzposition kein einziges Mal verändert. Allein Nusrat Fateh Ali Khan und sein Bruder Farukh kommentierten ihren Gesang mit knappen Handbewegungen, die die Luft zerschnitten, bisweilen den Vortrag anhaltend, um dann neue Einsätze zu geben.

Alle neun Männer und ihr zwölfjähriger Schüler des „party“ genannten Ensembles singen. Begleitet wird Nusrat Fateh Ali Khans virtuoser Vokalvortrag von zwei (Hand-/Pump -)Harmonien, dem rhythmischen Klatschen der Hände und einem Satz Tablas. Aus diesen einfachen Quellen fügt sich eine Musik von erstaunlicher Vielfältigkeit, ein Gewebe unendlicher rhythmischer wie melodischer Variationen. Langsame Einführungen des Themas werden von einem zum anderen Solosänger wie Staffetten weitergegeben, immer kompliziertere Gebilde bauen sich auf, die sich schließlich in ekstatischen Tempi auflösen. Rasend schnell werden bisweilen Worte in Silben zerlegt, bis sie nur noch als rezitierte Noten (Sa, Re, Ga, Na, Pa, Dha, Ni) im Raum stehen, die an dadaistische Lautgedichte erinnern. Obwohl der Auftritt wie improvisiert und das Zusammenspiel der Sänger telepathisch erscheint, ist die Perfektion das Resultat jahrzehntelanger Praxis.

Das Wissen um die mit dem Qawwali(-Gesang) verbundenen Ekstase-Techniken werden vom Meister-Qawwal nur mündlich auf Brüder und Söhne weitergegeben (Danke! die Schwester). Eine Tradition, die auf die Gründung des Christi-Ordens, einer Sufi-Bruderschaft, im zehnten Jahrhundert zurückgeht. Ihre musikalischen Wurzeln liegen wiederum in einer besonders furiosen Rezitation des Koran. Natürlich veränderten sich im Laufe der Jahrhunderte Inhalte und Aufführungspraxis des Qawwali. Während er im Mittelalter vor initiierten Mitbrüdern gesungen wurde, um sie in „Hal“ - eine Art Trance - und damit näher zu Allah zu bringen, finden wir ihn heute gar als populären Gesang im indischen Kinofilm wieder. Die besungene Liebe zu Gott, die Suche nach Weisheit, verschlüsselt im Bild vom Weintrinken („Laß die Welt nicht weiter dürsten/ Der Beschaffer göttlichen Weines kommt bald an“), spielt mit der fleischlichen Ensprechung, bis man zwischen eindeutiger Affirmation und durchgeistigter Transzendenz kaum noch unterscheiden kann.

Trotz völlig unterschiedlicher kultureller Voraussetzungen weist der Qawwali auffallende Ähnlichkeiten mit Jazz auf, zum Beispiel in der Art, wie sich Melodien verzahnen, sich vom Rhythmus lösen oder wenn Nusrat Fateh Ali Khan nach Einführung und Improvisation des Themas einen Scat-Gesang intoniert.

Dieser Mann - von der Physiognomie her eine Kreuzung aus Meat Loaf und Pavarotti, wie ein Kollege meinte - ist ein Vulkan, der seine freudigen Lobpreisungen förmlich von sich speit. Qawwali ist die swingendste religiöse Musik, die es beim Barte des Propheten - gibt. Ansonsten kühl reflektierende Mitteleuropäer haben auf Konzerten Nusrat Fateh Ali Khans häufig Schwierigkeiten, sich den magischen Momenten zu entziehen. Aber warum sollten sie auch.

Jean Trouillet

Weitere Informationen zu Nusrat Fateh Ali Khan, W.O.M.A.D. & Ghazal in: WeltBeat. Das Ja-Buch für Globe-HörerInnen. Löhrbach 1989, Verlag Werner Pieper's Medienexperimente.

Aufnahmen mit Nusrat Fateh Ali Khan:

Supreme Collection (JARO) CD/LP

Shahen-Shah (RealWorld) CD/LP

En Concert a Paris (Ocora) 5 CD, Ausschnitte auf 2 LP

The Ecstatic Qawwali (jap. Victor) 2CD.

Die Konzertdaten: 22.5. Dortmund, 23.5. Bremen, 24.5. Köln, 26.5. Berlin, 28.5. Wien, 29.5. München, 30.5. Frankfurt, 3.6. Mainz, 4.6. Moers, 16.6. Hamburg, 17.6. Hamburg.

1) Ghazal ist eine Form gesungener Poesie, deren Wurzeln in das Persien des siebten Jahrhunderts zurückreichen.

2) W.O.M.A.D. A World Of Music, Arts & Dance. Englisches Festival, das Musiker und Musikstile aller Kontinente vorstellt und wegen seiner erstklassigen Auswahl und sensiblen Präsentation einen guten Ruf genießt.