„Pazifist ist der Hund?“

■ Vor 70 Jahren „auf der Flucht“ erschossen: Hans Paasche - Seeoffizier, Revolutionär und Pazifist

Am 21. Mai 1920 umstellen 60 Soldaten das Gut „Waldfrieden“ in der Neumark. Hans Paasche, Besitzer des Gutes und Kapitänleutnant a.D., sonnt sich gerade am nahegelegenen See. Der Dorfpolizist kommt: „Ich muß Sie sprechen.“ Als Paasche auf dem Weg zum Haus die Soldaten sieht, will er umkehren. Zwei Schüsse treffen ihn tödlich. Das Ergebnis der amtlichen Untersuchung lautet: „Auf der Flucht erschossen“ seit den Morden an Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Kurt Eisner und Gustav Landauer eine mehr als ausreichende Rechtfertigung für rechte Lynchjustiz. „Hierzuland löst die soziale Frage / ein Leutnant, zehn Mann. Pazifist ist der Hund? / Schießt ihm nicht erst die Knochen wund! / Die Kugel ins Herz! / Und die Dienststellen logen: Er hat sich der Verhaftung entzogen“, kommentiert Kurt Tucholsky in der 'Weltbühne‘. Schon bald wird das Verfahren gegen den Mordschützen eingestellt.

Was machte den vor 70 Jahren ermordeten Hans Paasche so gefährlich und verhaßt, daß er ein Opfer rechtsradikaler Landsknechte wurde? Weil er sich zum Idealisten entwickelt, zum Ankläger des Militärwesens und des Kolonialismus gewandelt und von den „alten Kameraden“ verlangt hatte: „Ändert euren Sinn!“ Tucholsky schreibt: „Paasche war Offizier gewesen, er hatte einmal gewagt, an der Gottähnlichkeit des militärischen Apparats zu zweifeln, und das verzeihen sie nie.“

Als Kommandant eines Kriegsschiffs war Paasche 1905/06 an der Niederschlagung von (sogenannten; d.S.) Negeraufständen beteiligt. Die Scharfmacher ekelten ihn an. 1908 quittiert er den Marinedienst. Nach Deutschland, wo er fortan sein Gut bewirtschaftet, kehrt er als Kriegsgegner und Freund Afrikas zurück. In der erwachenden freideutschen Jugendbewegung spielt er eine führende Rolle, als Schriftsteller und Redner tritt er für Frieden und soziale Gerechtigkeit, für Umwelt-, Tier- und Naturschutz ein. Er bekämpft die Robbenjagd, fordert eine drastische Verminderung der Fangquoten, prangert die - ganze Vogelarten ausrottende - „Federmode“ an, agitiert für eine „natürliche Lebensweise“, für Vegetarismus, Bodenreform, Lärmschutz, Frauenstimmrecht und Wohngemeinschaften zur Entlastung der Frauen von Kinder und Küche; er attackiert die zynische Herrenmentalität des Offizierskorps und den Hurrapatriotismus, die Todesstrafe und - als Guttempler - den Alkoholismus.

Eindringlich warnt Paasche vor der Ausplünderung Afrikas, wodurch er in zunehmenden Gegensatz zu seinem Vater gerät, der als Wirtschaftswissenschaftler und nationalliberaler Vizepräsident des Reichstags dem kolonialen Expansionismus das Wort redet. Mit seinen fingierten Briefen des Negers Lukanga Mukara - eine satirische Bloßstellung der angeblichen Errungenschaften europäischer Zivilisation - aus dem „innersten Deutschland“ führt Paasche den Deutschen bereits 1912 vor Augen, daß sie kein Recht haben, ihre „Kultur“ nach Afrika oder anderswohin zu exportieren. Thema dieser Briefe ist die ökologische Betrachtungsweise des alltäglichen Lebens, zum Wohnen und Arbeiten, zu Kleidung und Ernährung, der Verlust des Einklangs mit einer natürlichen Umwelt, die Unterdrückung der Frau, die Jagd nach Geld und Profit, der Ehrgeiz und die ziellose Hektik eines falschen Lebens, das Einsamkeit, Angst und Freudlosigkeit gebiert. Eine Kritik der europäischen Kultur aus der Sicht eines Afrikaners, der uns auch heute noch oder wieder neu sehen lernt und in seiner farbig-konkreten Schilderung zugleich höchst unterhaltsam ist.

Im August 1914 folgt Paasche noch einmal dem Ruf der Waffen, überzeugt, das Kaiserreich führe einen gerechten Verteidigungskrieg. Doch schon bald wird ihm die Schuld des Hohenzollern-Regimes am Weltkrieg bewußt, den er nun als eine „Schändung des Evangeliums“ begreift. Noch in Uniform verteidigt er die Kriegsgegnerschaft Karl Liebknechts. Als Marinerichter weigert er sich, einen Matrosen wegen aufreizender Redensarten gegen den Krieg abzuurteilen. Ende 1916 wird Paasche, dem man zwischenzeitlich den Posten des Leuchtturmwächters auf „Roter Sand“ übertragen hatte, aus der Marine zu entlassen. Aus seiner Haltung zu Krieg und Militär macht er fortan keinen Hehl. Er geht in den politischen Untergrund, propagiert einen Verständigungsfrieden, verbreitet illegale Schriften und verfaßt Flugblätter, in denen er die Arbeiter zur Lahmlegung der Rüstungsindustrie aufruft. Er schreibt: „Ein Ende des Krieges gibt es nur, wenn auch die Generäle kein Essen mehr haben, und erst, wenn des Kaisers Söhne in Lebensgefahr wären, hört das Volk auf, Kanonenfutter zu sein. An jedem Tag Krieg wird die Welt ärmer an Menschen, Nahrung, Geld und Glück, er ist der eigentliche Landesverrat.“ Paasches Sympathien gelten dem „Erbfeind“, den französischen Kriegsgefangenen, die auf seinem Gut arbeiten und für die er am 14. Juli 1917 die Trikolore hissen und die „Marseillaise“ erklingen läßt.

Wegen seines Aufrufs „Die Waffen nieder!“ wird er im Herbst 1917 als „Hochverräter“ verhaftet und für „geisteskrank“ erklärt. Man steckt ihn, wie damals üblich, in ein Berliner Nervensanatorium. Am 9.November 1918 befreien ihn revolutionäre Matrosen. Als Mitglied des Vollzugsrates der Arbeiter- und Soldatenräte drängt er darauf, die am Krieg Schuldigen und die für die Kriegsverlängerung Verantwortlichen vor ein Volksgericht zu stellen. Paasche hat alles vorbereitet, Wagen mit bewaffneten Matrosen stehen bereit. Vergeblich - Ebert und Scheidemann weigern sich, die Haftbefehle zu unterzeichnen. Nicht einmal sein Vorschlag, die „Puppen“ der „Siegesallee“ in die Luft zu sprengen, findet eine Mehrheit.

Enttäuscht von der Revolution, zieht er sich auf sein Gut zurück. Als Vorstandsmitglied des pazifistischen Bundes „Neues Vaterland“ fordert er 1919 in seinen Flugschriften Meine Mitschuld am Weltkriege und Das verlorene Afrika die Deutschen zur Abkehr vom Schwertglauben und zur geistig-moralischen Umorientierung auf. Deutschland geht einen anderen Weg - in den Zweiten Weltkrieg.

Helmut Donat