Flächendeckend heißes Blech

Ein Referendum gegen Madrids „Autosteher“  ■  Aus Madrid Antje Bauer

In der Malasana ist morgens um zehn die Welt noch in Ordnung. Der Altwarenhändler rattert mit seinem Handkarren übers Pflaster, Hausfrauen stehen in Schürze und Schlappen auf dem Trottoir und tratschen, die Katze des Schusters schläft auf einem Autodach, und wer will, kann auf dem Rückweg vom Kiosk in der Mitte der Straße laufen und die Zeitung lesen. Die Malasana ist ein gemütliches kleines Wohnviertel im Zentrum von Madrid.

Doch wer sich hinauswagt, wird sofort bestraft: In dichte Abgaswolken gehüllt, wälzt sich ein breiter Autostrom über alles, was nach Asphalt aussieht. Die Gran Via, Madrids Autostraße, verschwindet unter Blech, das Plätschern der Springbrunnen an der Castellana, der achtspurigen Prachtavenue, wird überdeckt vom Geheul der Motoren, und das Pradomuseum ist umweht von Benzingestank. Morgens und abends, wenn die Berufstätigen zwischen Arbeit und Zuhause pendeln, verwandelt sich die Stadt in einen einzigen Stau. Doch nicht nur über die großen Avenuen und Ausfallstraßen rollt die Lawine, sie macht auch vor den winzigen Gassen im Geschäftszentrum nicht halt. Jeder Zentimeter wird sorgsam mit heißem Blech ausgefüllt. Die neue Leidenschaft, das Autostehen, erreicht immer neue Gipfel, wenn einer der Zeitgenossen mal wieder keinen Parkplatz gefunden hat und kurzentschlossen in der zweiten Reihe parkt, wenn Lieferwagen in der Mitte der Straße entladen werden oder gerade mal wieder irgendwo das Pflaster aufgerissen wird. Die Nervosität der Autofahrer entlädt sich in solchen Fällen in einem gemeinsamen Hupkonzert, wobei sich eine bemerkenswerte Beharrlichkeit zeigt, auch wenn der Rhytmus oft etwas phantasielos wirkt.

Fast eine Million Autos bewegt sich täglich im Stop-and-go -Verfahren durch Spaniens Hauptstadt - die Zahl wächst jährlich um fünf Prozent. Schwindelerregende 14 Stundenkilometer beträgt die Durchschnittsgeschwindigkeit und die Tendenz ist fallend. „Madrid scheint sich damit abgefunden zu haben, in einer ständigen Rush-hour zu leben“, kommentiert die Tageszeitung 'El Pais‘.

Daß für autolose Wesen in diesem täglichen Verteilungskampf um den öffentlichen Raum kein Platz bleibt, ergibt sich von selbst. Fußgänger werden - nicht ausgesprochen aggressiv, doch mit der Entschlossenheit des Stärkeren - von den Straßen gejagt; die oft gerade handbreiten Trottoirs dienen zum Abstellen der Blechkisten. Fahrräder sind ein unbekanntes Fortbewegungsmittel. Schließlich hat man nicht jahrelang das größte Wirtschaftswachstum der EG erarbeitet, um sich hinterher schweißtriefend abzustrampeln. Zum modernen Spanier gehört ein Auto, auch wenn er darin fünfmal so viel Zeit zubringt, als wenn er etwa mit der gut ausgebauten und häufig verkehrenden U-Bahn führe.

Nicht daß sich die Stadtverwaltung etwa keine Gedanken zur Auflösung des täglichen Staus gemacht hätte. Sie hat die Ausfallstraße M-30 gebaut, eine weitere ist in Planung; sie hat die Innenstadt unterwühlen lassen und Parkhäuser eingerichtet, sie verfügt über ein hochmodernes, computergesteuertes Ampelsystem. Doch wenn morgens um neun im Schaltraum der Zentrale sämtliche Lämpchen aufleuchten und „stehenden Verkehr“ anzeigen, sind die Planer machtlos. Zu verkehrsreduzierenden Maßnahmen fehlt meist der Mut. Vor drei Jahren wurde der zentrale Platz Puerta del Sol für den Individualverkehr gesperrt. Noch heute stehen an den Zufahrtsstraßen Verkehrspolizisten, um dieMadrider an der verbotenen Durchfahrt zu hindern. In manchen Straßen waren Bordsteine für eigene Bus- und Taxispuren angelegt worden als eine rechte Regierung die Stadtverwaltung übernahm, wurden sie großenteils wieder abgeschafft. Freies Autostehen für freie Bürger heißt die Devise.

Diesem Laisser-faire versucht nun eine neue Kampagne zu Leibe zu rücken. In der ganzen Stadt wurden Stände aufgebaut, an denen die Bürger zwei Fragen beantworten konnten: Erstens: „Sollen die Dinge bleiben, wie sie sind, oder sollen Maßnahmen ergriffen werden, um die öffentlichen Verkehrsmittel, Fußgängerverkehr und Fahrräder zu fördern und den Gebrauch von Privatautos zu verringern?“ Und zweitens: „Sind Sie dafür, daß die Stadtverwaltung von Madrid offiziell ein Referendum über diese Fragen durchführt?“

Wenn es nach den Organisatoren der Kampagne geht, Umweltgruppen, dem Linksbündnis Izquierda Unida, sowie Bürgerinitiativen, dann sollen die Hauptverkehrsstraßen für den Individualverkehr gesperrt werden. Welch traumhafte Vorstellung - doch im rechtgläubigen Spanien vermutlich zu ketzerisch.